Input aus dem Forschungsprojekt “Wissenschaftliche Begleitung der Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen”

von Marianne Sand, Wissenschaftliche Begleitung FSA, ehs Dresden


1. Integrationsorte

Die nähere Untersuchung von Orten / Projekten / Offenen Treffs, die der (Sozial-)Integration geflüchteter Menschen in den jeweiligen Sozialräumen zuträglich sind, hat das Projekt schon 2020 vorbereitet. Aufgrund der Coronapandemie, der Kontaktbeschränkungen und Lockdowns, konnten wir erst ab Frühjahr 2021 mit der Umsetzung beginnen.

  • Aus mehreren in Frage kommenden sächsischen Projekten und Initiativen, entschieden wir uns nach bestimmten, in theoretischen Überlegungen festgelegten Kriterien für ein Sample von fünf Orten in Sachsen:
  • das Mütterzentrum Leipzig e.V. in Paunsdorf bzw. Grünau
  • das Projekt „Frauen gestalten Welten“ in Görlitz,
  • das Internationale Begegnungszentrum (IBZ) Pirna,
  • den Familientreff Puzzle in Dresden-Gorbitz und
  • die Werkstatt 26 in Königstein.

Unser Erkenntnisinteresse war dabei:

Wie tragen an den jeweiligen Orten die Einrichtungen/Projekte zur Integration der Nutzer*innen, insbesondere der Geflüchteten bei?

  • Welche konzeptionellen Ansätze der Sozialen Arbeit sind besonders relevant für die Integration der geflüchteten Besucher*innen?
  • Inwiefern ist die FSA als Kooperationspartnerin des Teams relevant, in welcher Weise könnte sie relevant sein? Hat FSA eine Brückenfunktion zwischen Geflüchteten und den Integrationsorten?
  • Welche Rahmenbedingungen für die Integrationsorte sind förderlich oder unverzichtbar, um Integration vor Ort gut zu gestalten/die Arbeit fortzusetzen?
  • Wie beeinflussen Gegebenheiten des Sozialraums den Integrationsort und welche Auswirkungen hat er auf den Sozialraum?

Zum Integrationsbegriff:

Wir nutzen den Integrationsbegriff als einen zentralen Begriff, wenn es um Adressat*innen Sozialer Arbeit generell geht und insbesondere um Menschen mit Migrationshintergrund, hier geflüchtete Menschen. Heute wird darüber gestritten, ob der Inklusionsbegriff angemessener wäre. Letztendlich geht es uns darum, dass Soziale Arbeit mit Menschen, insbesondere Geflüchteten arbeitet, die partiell desintegriert oder exkludiert sind. Wir nehmen den Integrationsbegriff als wichtiges Paradigma für die Soziale Arbeit.

An diesen fünf Integrationsorten haben wir jeweils durchgeführt:

  • 1-2 Interviews mit Mitarbeiter*innen,
  • 3-5 Interviews mit Nutzer*innen,
  • Eine Gruppendiskussion mit Mitarbeiter*innen, zuständiger FSA, Ehrenamtlichen, und Kooperationspartner*innen.

Die Interviews waren an allen diesen Orten sehr interessant und beeindruckend und hinterließen auf jeden Fall das Gefühl, dass keine dieser Orte in der Akteurslandschaft fehlen darf!

An diesem Arbeitstisch werden der Familientreff Puzzle und die Werkstatt 26 vorgestellt.

Beide Projekte machen eine sehr gute und wichtige Arbeit, sie sind anerkannt in den jeweiligen Sozialräumen und tragen nach unserem und auch ihrem Eindruck zur Integration der geflüchteten Nutzer*innen in den jeweiligen Sozialräumen bei.

Als Hinführung zum Thema soll ein Auszug aus den Interviews mit Geflüchteten Menschen in ländlichen Räumen in Sachsen dienen, die das Forschungsprojekt 2019 und 2020 durchgeführt hat.


2. Auszug aus Geflüchteteninterviews 2019/2020

Da die aktuelle Befragung zum Fachtag noch nicht abschließend ausgewertet war, können auch die Aussagen aus 2019/2020 interessante Hintergrundinformationen zur Wünschen und zentralen Themen geflüchteter Menschen in ländlichen Räumen geben.

Die leitfadengestützten Interviews waren thematisch breit gefasst. In diesem konkreten Rahmen sollen zusammengefasst Antworten und Äußerungen zu den Themen: „wo wollen die geflüchteten Menschen bleiben“ und „was ist der Integration zuträglich“ dargestellt werden. Die Faktoren, die die Befragten als wichtige Punkte, die sie im Sozialraum halten bzw. die der Integration zuträglich sind, können Rückschlüsse für und auf die Projekte und Treffs als Integrationsorte gezogen werden. In jedem Fall schein die Unterbringung in ländlichen Räumen oft große Umgewöhnung für die Befragten gewesen zu sein.

Auffällig ist, dass etwa 90 % der Befragten (19 von 21) in ihren Herkunftsländern in Großstädten gelebt haben. In 19 Fällen betrug die Bevölkerungszahl im jetzigen Aufenthaltsort in Deutschland zwischen 0,002 % und etwa 4 % der Bevölkerungszahl im Lebensmittelpunkt vor der Flucht.

Beispielhaft sei dafür dieses Interviewzitat angeführt:

„I: Und war das nicht eine große Umgewöhnung im Iran in einer großen Stadt und hier in so einer kleinen?
IP: Ich habe in einer großen Stadt gewohnt und damals war es für mich sehr schwierig in einer kleinen Stadt zu wohnen, [Unterbringungsort] ist noch kleiner als hier, hat nur einen Supermarkt. Ich glaube, [Unterbringungsort] ist ein Dorf (…) Und dort war es um 18 Uhr ganz dunkel und wir haben in unserem Leben noch nie etwas so dunkel gesehen. Im Iran ist so viel Strom, so viel Wasser und wir sparen nicht einfach und wir haben diese Stadt gesehen, dieses Dorf gesehen und wir haben gesagt, „Unser Leben ist vorbei“ – so haben wir gedacht. Aber es ist langsam besser geworden.“.

Aus der Befragung 2019/20 kristallisierten sich wichtige Punkte heraus, die die Befragten in den ländlichen Räumen hielten:

Gründe zu bleiben:

  1. In der Interviewauswertung zeigt sich, dass viele Ehrenamtliche geflüchtete Menschen unterstützen und dass diese Unterstützung durch Einzelpersonen oder Familien den Geflüchteten außerordentlich wichtig ist. Es sind oft die sozialen Kontakte und freundschaftlichen Beziehungen, die die Befragten vor Ort halten.
  2. Klein- und Mittelstädte seien ruhiger – dies wird sehr oft benannt und scheint ein wichtiges Argument für das Bleiben zu sein. Die Kinder könnten zur Schule laufen, sie könnten einfach auf der Straße spielen. Das Wohnumfeld sei ruhig und sicher, auch weil es keine Straßenbahn gibt. Außerdem sind Geschäfte, Ärzte, Beratungseinrichtungen, Bushaltestellen, Bahnhöfe nah und schnell zu erreichen.
  3. In mehreren Interviews wird herausgestellt, dass die Befragten in den Orten blieben, weil es den Kindern bzw. der Familie dort gut gehe. Die Kinder hätten sich eingelebt, seien in Strukturen eingebunden, hätten Freundschaften geknüpft und wollten nicht „weg“. Dies wird vor allem angegeben, wenn es vor Ort Strukturen gibt, die Bildungsangebote, Freizeitangebote oder andere spezialisierte Angebote für Kinder und Frauen bieten.
  4. Wenn die Orte gut an größere Städte angebunden sind, fällt die Entscheidung noch leichter, im ländlichen Raum zu wohnen. Durch gute ÖPNV-Anbindung könnten so die Angebote der Großstädte genutzt und gleichzeitig die Wohnvorteile der Kleinstadt in Anspruche genommen werden. Die Zuganbindung an Großstädte sei in diesen Fällen so gut, dass Pendeln zum Studium oder die Nutzung einer Sprachschule in der Großstadt möglich sei. Die Nähe zur erreichbaren Großstadt erhöhe ebenfalls die Chancen, eine Arbeit zu finden.

Aber es gab auch konkrete Wünsche an Innovationen, um den Sozialraum noch attraktiver für eine längerfristige Wohnperspektive zu machen:

Was müsste es hier geben, damit Sie hier in [Ort] bleiben würden?

  • Ein offenes Café als Begegnungsraum: ein Ort, der sowohl die Funktion eines Cafés im gastronomischen Sinn erfüllt, als auch als offener Treffpunkt und Begegnungsort fungiert (inklusive regelmäßiger niedrigschwelliger Beratungen für Migrant*innen, als auch offene und geschlossene Kurse und sowie Film­abende)
  • Langfristige (nicht nur punktuelle) bezahlbare Freizeitangebote
  • Läden mit Lebensmitteln aus den Herkunftsländern
  • Verbesserung des ÖPNV, der Mobilität, Sozialtickets
  • Arbeits- und Ausbildungsplätze

Wie war das Integrationsverständnis der Befragten – was bedeutete dieses Wort für sie und welche Faktoren waren förderlich:

Integration bedeutet…

a) für das alltägliche Leben nicht mehr auf fremde Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein. Man sei dann angekommen bzw. integriert, wenn man sein Leben wie alle anderen selbst regeln könne.

b) Teil der Gesellschaft zu sein, so, dass niemanden interessiere wie man aussieht und wohin man geht, dass es einfach normal ist, sich als Mensch offensichtlich anderer Herkunft dort zu bewegen.

c) eine (Ver-)Bindung zur Aufnahmegesellschaft hergestellt haben, ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt haben. Die Voraussetzung für solch ein „Verbinden“ sei vor allem gegenseitiger Respekt.

Faktoren, die die Integration fördern:

  • soziale Kontakte oder gar Freundschaften mit deutschen Anwohner*innen
  • Positive Reaktionen auf Interesse und Bemühungen der geflüchteten Menschen erzeugen das Gefühl, erwünscht und auf einem guten Weg der Integration zu sein.
  • Sprache
  • Arbeit
  • Eine Perspektive haben

Viele dieser angesprochenen Wünsche und wichtigen Punkte lassen sich an den von uns untersuchten Integrationsorten wiederfinden und zeigen damit auch deren Bedeutung auf. In der Folge werden konkret die Werkstatt 26 aus Königstein und der Kinder- und Familientreff Puzzle durch ihre hauptamtlichen Akteure vorgestellt.


Marianne Sand

Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 3 des Fachtages “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021):

Wo bleiben die geflüchteten Menschen – Angebote sozialräumlicher Integration

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net

Online-Fachtag “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung”
Marianne Sand, Wissenschaftliche Begleitung FSA, ehs Dresden

Screenshots: LaFaSt


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