Kommunikation und Vernetzung
Durch die Landesfachstelle soll an vorhandene Vernetzungsstrukturen der Akteure der Sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen angeknüpft werden. Es soll eine Plattform etabliert werden, die auf unterschiedlichen Ebenen Austausch- und Kooperationsgelegenheiten sowie Vernetzungsstrukturen bereithält, durch welche eine weitere Professionalisierung der FSA/MSA in Sachsen angeregt und gefördert wird.
Der von den Praxisakteuren artikulierte Bedarf an überregionalen bzw. landesweiten Kommunikations-, Kooperations- und Vernetzungsstrukturen ist groß. Dies gilt in mehrfacher Hinsicht:
- Zum einen bezogen auf die „horizontale“ Vernetzung zwischen den Regionen, Landkreisen und Städten Sachsens und darüber hinaus,
- zum anderen auf der „vertikalen“ Ebene: Hier gerät
- die Kooperation zwischen freien und öffentlichen Trägern ebenso in den Blick
- wie auch das Zusammenwirken und die Schnittstellen zwischen den landesfinanzierten FSA-Akteuren und den bundesfinanzierten Strukturebenen wie MBE und JMD.
- Dazu gehören schließlich auch Kontakte und Kooperationen zwischen den FSA-Trägern und den Regeldiensten, die die Integration von Geflüchteten (und anderen Migrant*innen) mit ihren niedrigschwelligen Möglichkeiten unterstützen.
Durch die von der Landesfachstelle ermöglichte bzw. initiierte Kommunikation auf diesen unterschiedlichen Ebenen erfolgt ein Wissenszuwachs durch Informationsweitergabe peer-to-peer wie auch ein Wissenstransfer durch das LaFaSt-Team bzw. externe Expert*innen. Im Gegensatz zur formellen Kommunikation im Berufsalltag mit ihren Zwängen und Hierarchien können hier ein Voneinander-Lernen im Austausch, eine Klärung von Positionen und die Herstellung von Transparenz erfolgen, Differenzen können ermittelt und ausgetragen werden, die Suche nach Konsens kann erfolgen.
Zentral sind hierbei
– die Ermöglichung von handlungsentlasteten und hierarchiefreien „Diskurs-Räumen“
– sowie der Charakter informeller Kommunikation
Handlungsentlastete und hierarchiefreie Kommunikation in Diskurs-Räumen
Voraussetzung und ein wesentlicher Aspekt dieses Konzepts der „Diskurs-Räume“ ist es, dass die Kommunikation innerhalb von handlungsentlasteten und hierarchiefreien Settings stattfindet, die zwar innerhalb des professionellen Kontextes angesiedelt, jedoch nicht Bestandteil des „Alltagsgeschäftes“ mit seinem Erfolgsdruck und seinen Handlungszwängen sind. Durch die Handlungsentlastung wird eine außeralltägliche Perspektive ermöglicht1, es ist erlaubt und erwünscht, auch mal „um die Ecke“ zu denken und sich auf Argumente und Gedankenexperimente einzulassen. Durch die Abwesenheit von Hierarchie- oder Konkurrenzstrukturen werden die Reflexion des eigenen professionellen Handelns, die Vertiefung von Themen, die Erweiterung der eigenen Perspektive, die Aufnahme von Anregungen sowie die Weitergabe von Erfahrungen – bis hin zum Transfer von „guter Praxis“ – in einer Weise ermöglicht, die in den üblichen professionellen Gremien meist zwangsläufig zu kurz kommen. Eine Bedingung ist dabei schließlich, dass die – in der Regel moderierte – Kommunikation in einem neutralen und geschützten Raum stattfindet.
Insbesondere das gezielte Zusammentreffen von Akteur*innen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen bzw. Funktionen im Migrationskontext (wie FSA/MSA, aber auch MBE/JMD u.a.), aus unterschiedlichen organisationalen Handlungsfeldern (freie, kommunale, private Träger, Ehrenamtliche) sowie aus verschiedenen Sozialräumen bzw. Regionen – also die Kommunikation mit Akteur*innen, mit denen man im „Alltagsgeschäft“ nicht oder eventuell nur zweckgebunden zur schnellen Entscheidungsfindung, sehr strukturiert und formalisiert in hierarchischen oder konkurrierenden Settings zusammentrifft – ermöglicht in diesem handlungsentlasteten und „geschützten“ Rahmen eine Erweiterung der Horizonte, eine Sensibilisierung für andere Perspektiven sowie den Zugewinn von Anregungen für das eigene Handlungsfeld.
Institutionalisierung der Regionalwerkstätten als Diskurs-Räume
Im bisherigen Projektverlauf der wissenschaftlichen Begleitung der FSA in Sachsen zeigte sich, dass die Bereitstellung von Plattformen des Austausches (als Diskurs-Räumen) in diesem Sinne ein produktives und von den Teilnehmer*innen wertgeschätztes Instrument darstellt. Deshalb soll diese – vor allem als „Regionalwerkstätten“ – erprobte, aber bislang nur selektiv eingesetzte Methode im Zuge der Etablierung der Landesfachstelle verstetigt und institutionalisiert, d.h. als regelmäßiges und verlässliches Angebot perspektivisch auf Dauer gestellt und längerfristig geplant werden.
Im Format der Regionalwerkstätten fließen neben der Beteiligung der Praxisakteur*innen auch Elemente der Mitgestaltung durch die Landesfachstelle und der Forschung (im Sinne systematischer Dokumentation oder expliziter empirischer Methoden, wie z.B. aktivierende Gruppendiskussionen) gleichermaßen ein.
Neben den Regionalwerkstätten kann das Konzept der handlungsentlasteten Diskurs-Räume auch auf anderen Ebenen entwickelt und eingesetzt werden, etwa bei Workshops mit bestimmten Trägern, als „Arbeitstische“ bei Fachtagungen etc.
Bedeutung informeller Kooperation
Eine weitere Differenzierung in diesem Zusammenhang ist schließlich diejenige zwischen formeller und informeller Kooperation.
Dabei ist informelle Kommunikation oder Kooperation kein Selbstzweck, sondern kann und soll dazu beitragen, dass es dort, wo es drauf ankommt (dort, wo die Entscheidungen getroffen werden), also in der formalisierten, rechtlich festgeschriebenen hierarchischen Kommunikation, besser läuft.
Informelle Netzwerke sind wesentlich für die Qualität der Arbeit
Informelle Kooperationen und Netzwerke sind also wesentlich für die Qualität der sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen.
Wenn aber Kooperationsbeziehungen nur reaktiv stattfinden, um konkret und dringend auf der Agenda stehende Probleme zu lösen, dann fehlen häufig präventive oder auch reflexive Netzwerke, die helfen können, künftige Probleme zu vermeiden, hätte man sich rechtzeitig zusammengefunden.
Insbesondere die Konfliktlinie, die immer wieder zwischen öffentlichen und freien Trägern akut wird – und die aufgrund der abweichenden Handlungslogiken von öffentlicher Verwaltung und freien Trägern systemimmanent und damit unvermeidbar ist – lässt sich nur entschärfen, wenn über informelle Kommunikationen ein gegenseitiges Verstehen und Vertrauen aufgebaut werden kann.
Dabei wird eine Vernetzung der Praxisakteure zwar vorausgesetzt, ist aber in den Zeitbudgets kaum vorgesehen. Deshalb bedarf es einer Anerkennung der Notwendigkeit von Vernetzung und Kooperation als wichtigen Tätigkeitsinhalt jenseits ohnehin meist viel zu knapp bemessener Personalschlüssel. Die gezielte Stärkung informeller Kontakte zu Institutionen verbessert die Qualität der Arbeit und erlaubt erst gezielt ein arbeitsteiliges Vorgehen, das Synergien ermöglicht.
1 Vgl. Bergold, Jarg/Thomas, Stefan (2012). Partizipative Forschungsmethoden: Ein methodischer Ansatz in Bewegung. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 13(1), Art. 30 (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1201302; 27.5.2019).