Standards in der Flüchtlingssozialarbeit

– Die zwiespältige Debatte um fachliche Standards in der Flüchtlingssozialarbeit –

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte Version des Textes „Die zwiespältige Debatte um fachliche Standards in der Flüchtlingssozialarbeit“ von Marion Gemende, Margit Lehr und Marianne Sand aus dem Sammelband „Flüchtlingssozialarbeit in Bewegung. Ein Handlungsfeld der Sozialen Arbeit am Beispiel der FSA in Sachsen“, der 2022 bei Beltz Juventa erschienen ist.


1. Die Sehnsucht nach Handlungssicherheit – von Fachkräften der FSA und von auftraggebenden Öffentlichen Trägern

Als sich die Flüchtlingssozialarbeit 2015 schnell entwickeln musste, wurde bereits sehr bald nach ihren Fachstandards gerufen. Einerseits waren es die auftraggebenden Öffentlichen Träger, die in dem unbekannten Arbeitsfeld die Kontrolle behalten wollten und bei verschiedenen Trägern nach einer möglichst vergleichbaren Qualität und Abrechenbarkeit und damit nach der Effektivität der Leistungen fragten (zugleich aber den Personalschlüssel hoch ansetzten). Andererseits forderten die Fachkräfte in der Flüchtlingssozialarbeit selbst Standards für ihre Arbeit. Nicht nur die Heterogenität der Zielgruppe und ihrer Lebenslagen sowie die Komplexität der Aufgaben legten die Frage nach Standards nahe, sondern auch die Multiprofessionalität der Teams machten den Austausch zu fachlichen Grundlagen der Arbeit notwendig. In den Teams arbeiteten nicht nur Professionelle, die Soziale Arbeit studiert hatten und sich so schneller hätten vereinbaren können, sondern auch Menschen mit anderen Berufsabschlüssen und außerdem mit unterschiedlichen nationalen Herkünften. Des Weiteren etablierte sich eine diverse Trägerlandschaft, die sich durch Unterschiede in Bezug auf die Ansprüche an die eigene Arbeit und die Qualität der „Sozialen Betreuung“ bei den verschiedenen Freien und Gewerblichen sowie den Öffentlichen Trägern der FSA auszeichnete – auch diese Realität erzeugte bei Fachkräften den Wunsch nach „mehr Standards“.

Dazu kamen Erwartungen von Ehrenamtlichen an das Hauptamt und umgekehrt, wie sie ihre jeweilige Arbeit erfüllen und was in die jeweilig andere Zuständigkeit fallen sollte. Nicht zuletzt suchten die geflüchteten Menschen selbst diejenige Beratung, von der sie sich die beste Klärung ihrer Fragen und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse versprachen.

Standards sollen Handlungssicherheit geben, der Ruf nach ihnen ist aber janusköpfig. In der Disziplin und der Profession der Sozialen Arbeit finden sich äußerst gespaltene Positionen zur Einführung rationaler Steuerungslogiken mit Standards. Sie bewegen sich zugespitzt zwischen einerseits Befürworter*innen der Anwendung des Qualitätsmanagements als Möglichkeit, interne Organisationsstrukturen zu rationalisieren, Leistungstransparenz zu erhöhen, Qualität zu entwickeln und zu sichern, Fachkräfte gezielter aus- und weiterzubilden, die öffentliche Legitimation zurückzugewinnen, sowie andererseits Gegner*innen, die die Aushebelung nationaler Sozialstaatsmodelle durch globale Wettbewerbsorientierung, die Ökonomisierung Sozialer Arbeit durch den Spardruck der öffentlichen Hand und die arbeitsalltägliche Bürokratisierung der Handlungspraxis als Folge des Dokumentationszwangs im Sinne der Messbarkeit auf Kosten der fachlichen Arbeitsinhalte befürchten (vgl. Schilling[1] 2017, S. 31).

Flüchtlingssozialarbeit bewegt sich zudem in dem konfliktreichen Rahmen zwischen dem fachlichen Anspruch, ein professionelles Selbstverständnis entsprechend dem menschenrechtlichen Berufsethos verwirklichen zu können, und der sozialen Wirklichkeit von politisch ausgehandelten Mindeststandards für Unterbringung und „soziale Betreuung“ von vor allem Asylbewerber*innen und Personen mit Duldung. Diese Mindeststandards sind menschenrechtlich und berufspolitisch in der Regel zu kritisieren. Die Umsetzung von Fachstandards der Sozialen Arbeit wird damit erst recht prekär.

Der Standardbegriff selbst ist uneindeutig und lässt sich zunächst ganz allgemein und sehr breit verstehen als eine einheitliche und anerkannte Verfahrensweise, als ein allgemein anerkanntes Ziel, als Qualitätsanforderungen und Qualitätsbeschreibungen, die sich durch wissenschaftliche Theorien und eine wissenschaftlich begründete Praxis neben Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien durchsetzen, oder/und als Ausprägungsgrade für ausgehandelte Anforderungen an die Qualität z. B. der Sozialen Arbeit (vgl. ebd., S. 17).

Standards und Qualität werden als subjektive und interessengebundene Kategorien verstanden, die auf einer Verständigung über ethisch und normativ begründete Maßstäbe und den daraus resultierenden Zielen basieren. Sie sind dann also intersubjektiv ‚ausgehandelte‘, zielgeleitete Anforderungen an die Qualität Sozialer Arbeit (vgl. Schilling 2017; Herriger/Kähler 2003, S. 11 f.) und entstehen nicht frei von Konflikten zwischen den Parteien, die sie verhandeln. Es ist zwar gut, sie zu entwickeln, zu erstreiten und zu dokumentieren, aber sie müssen auch gelebt und immer neu reflektiert werden.

Standards müssen damit flexibel und prozesshaft sein, was einer statischen und linear-kausalen Auffassung widerspricht, denn sie müssen den jeweiligen sozialräumlichen Bedingungen, den Trägern, den Fachkräften und den Problemlagen der Adressat*innen entsprechen. Die wenigsten Standards Sozialer Arbeit sind quantitativ messbar, sie sind eher qualitativ beschreibbar (vgl. Schilling 2017; Herriger/Kähler 2003).

Standards ersetzen nicht die interaktionssensible, personenzentrierte Einzelfallarbeit, führen nicht per se zu einem ‚besseren‘ Verwaltungshandeln (z. B. nach quantitativen Outputs durch die Abrechnung der Freien Träger beim Öffentlichen Träger), möglicherweise aber zu einer ‚besseren‘ Organisationskultur (vgl. Schilling 2017, S. 47 f.).

Darüber hinaus sind Standards Grundlage und Ziel für die politischen ‚Kämpfe‘, um sie in jeweiligen Landesgesetzen und -verordnungen zu verankern, damit es nicht nur bei vagen Mindeststandards bleibt.

Sehr detailliert sind solche Standards beispielsweise in der Verordnung über die Durchführung des Landesaufnahmegesetzes von Brandenburg von 2016 enthalten (bravors.brandenburg.de/verordnungen/laufngdv_2016 (Abfrage: 13.12.2021)), hier vor allem im Abschnitt 3 „Soziale Unterstützung durch Migrationssozialarbeit“ und in der Anlage 4 „Anforderungen an die Aufgabenwahrnehmung der sozialen Unterstützung durch Migrationssozialarbeit“. Migrationssozialarbeit ist in Brandenburg in besonderem Maße für geflüchtete Menschen zuständig und kann zunächst bis 2023 fortgeführt, also finanziert werden (msgiv.brandenburg.de/msgiv/de/presse/pressemitteilungen/detail/~15-09-2021- migrationssozialarbeit-kann-fortgefuehrt-werden# (Abfrage: 13.12.2021)). Inwieweit diese fixierten Vorgaben Praxis sind, kann hier nicht beurteilt werden.

Im Folgenden werden zunächst aus ausgewerteten Befragungen Positionen von Fachkräften in Sachsen zum Thema Standards in der FSA dargestellt. Danach wird der Versuch unternommen, einen Strukturierungsvorschlag zur weiteren Diskussion von Standards in der FSA darzustellen, in dem sich sowohl die Aussagen der befragten Fachkräfte zu Standards als auch andere Erfahrungen des Projekts, z. B. eines Qualitätsworkshops mit Mitarbeiter*innen des Caritasverbandes für Dresden e.V. im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, spiegeln.


2. Standards in der Flüchtlingssoziarbeit aus der Sicht von befragten Fachkräften

Der Standardbegriff ist – wie oben ausgeführt – uneindeutig. Der folgende Abschnitt rekonstruiert im Rahmen des Forschungsprojektes erhobene Sichtweisen sächsischer Praktiker*innen der FSA von Freien, Gewerblichen und Öffentlichen Trägern, bezüglich der Fragen, was Standards sind und wie sie sich in Vereinbarungen bzw. Berichten niederschlagen sollten, was deren Funktion sein kann, wer Standards in der FSA erstellen sollte und inwiefern Standards und Messbarkeit zusammenhängen.

Zum einen wurden 2016 und 2017 sachsenweit 27 leitfadengestützte Expert*inneninterviews sowohl mit Praktiker*innen als auch mit für die Umsetzung der (damals so genannten) „sozialen Betreuung“ Verantwortlichen Öffentlichen Trägern durchgeführt. Der Leitfaden, der sich auch auf andere Themen bezog, sah dazu folgende Fragen vor: „Was verstehen Sie unter Standards?“, „Wozu wären Standards wichtig?“, „Was sollte in der FSA Standard sein?“ und „Wer sollte Standards machen?“.

Zum anderen fließen in diesen Abschnitt auch Äußerungen aus den 2017 und 2020 durchgeführten sachsenweiten quantitativen Onlinebefragungen ein, die sich an alle Flüchtlingssozialarbeiter*innen richtete. Die offenen Fragen lauteten hier: „In welchen Bereichen Ihrer Arbeit mit geflüchteten Menschen wären Standards Ihrer Ansicht nach hilfreich? (Bitte benennen!)“ und „In welchen Bereichen Ihrer Arbeit mit geflüchteten Menschen wären Standards Ihrer Ansicht nach nicht sinnvoll bzw. wo ist eine Standardisierung nicht möglich? (Bitte benennen!)“.

Interessant ist hierbei, dass sich in den verschiedenen Befragungen trotz der Zeitspanne von 5 Jahren (zwischen 2016 und 2020) die Äußerungen ähneln und der Tenor bleibt: Praktiker*innen und Verwaltung haben partiell unterschiedliche Vorstellungen von und Wünsche an Standards bzw. Standardisierung. Ein Dialog darüber könnte eine gute Grundlage für Kooperationen unter Freien und Gewerblichen Trägern sowie mit den Öffentlichen Trägern sein, die aber durch Konkurrenz bzw. durch ein Machtgefälle partiell nicht gut funktionieren. Die Voraussetzung dafür wäre eine Zusammenarbeit ‚auf Augenhöhe‘ sowie eine Anerkennung der Fachlichkeit der Flüchtlingssozialarbeit. Beides war laut den Befragungen nicht immer gegeben. Erst dadurch aber könnten gemeinsame Ziele der Arbeit festgelegt und die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden und in der Folge die teilweise oppositären Positionen Öffentlicher und Freier Träger zumindest entschärft werden.

Wozu dienen Standards in der FSA?

Standards für eine FSA in Sachsen sollten zunächst fachlich begründete Mindeststandards sein, „um eine Qualitätssicherung unabhängig vom Ort der Ausübung zu gewährleisten. Ziel sollte sein, dass diese Mindeststandards eine Orientierung und einen Rahmen für die Soziale Arbeit mit Asylsuchenden und Geflüchteten geben.  Dabei müssen einzelne Parameter an die Gegebenheiten des jeweiligen Landkreises bzw. der jeweiligen Stadt angepasst werden, ohne jedoch die Mindeststandards aufzuweichen“ (Holinski 2014, S. 7).

Vor allem Befragte Freier Träger schätzten an der Festlegung von Standards die Vergleichbarkeit der Arbeit innerhalb einer Kommune bzw. eines Landkreises und erhofften damit verbunden eine qualitative Verbesserung der FSA. Standards seien wichtig, damit sie alle Mitarbeitenden qualitativ gut erfüllen könnten und „es keine Beliebigkeit mehr“ gebe.

Auch Befragte Öffentlicher Träger zielten mit der Erstellung von Standards auf die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten der Träger. Diese müssten in ihren Berichten präziser über ihre genauen Tätigkeiten Auskunft geben, damit der Auftraggeber Entwicklungen sichtbar machen und Verbesserungen einfordern könne.

Trägerinterne und -übergreifende Standards könnten außerdem den Vorteil haben, dass Klient*innen vergleichbar behandelt würden und Strukturen und Abläufe für sie berechenbarer seien, auch den Beschäftigten selbst gäben sie Handlungssicherheit. Das betrifft zum Beispiel – so selbstverständlich das klingen mag – Öffnungszeiten der Beratungsstelle und die Erreichbarkeit der Professionellen für die geflüchteten Menschen, die geklärt werden müssten.

Eine trägerübergreifende Einigung auf Minimalstandards wäre auch wünschenswert, um einerseits ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Träger im Hinblick auf die gemeinsame Arbeit zu erzeugen und andererseits Standards gegenüber den Geldmittelgebern als trägerübergreifende Übereinkunft rechtfertigen und damit auch bestimmte Tätigkeiten ablehnen zu können mit dem Hinweis auf das Berufsbild[2] und das Berufsethos.

Besonders wichtig sei eine Verständigung über Standards vor allem dort, wo FSA neu entstanden sei und es keine erprobten Handlungsweisen gebe (wie bei erfahrenen Trägern).

Allerdings gab es in den Interviews auch die Meinung, Standards wären zwar wichtig, damit die Arbeit nicht von allen beliebig umgesetzt würde, aber das reine Festlegen von Standards garantiere noch keine einheitliche Qualität. In der Pflege seien beispielsweise die Tätigkeiten standardisiert, um sie messen zu können, trotzdem gebe es bei ein und derselben Tätigkeit Qualitätsschwankungen unter den Fachkräften. Damit wird indirekt angesprochen, dass Qualität in der FSA in besonderem Maße auch von der Reflexionsfähigkeit der Teams abhängt. „[…] Geflüchtete kann professionell unterstützen, wer selbst unterstützende Arbeitsbedingungen erfährt“ (Schmitt 2019, S. 505). Dazu gehören der fachliche Austausch in den Teams in Form von Fach- und Fallberatungen und die Supervision.

Zusammenfassend haben nach Auffassung der Befragten Standards die Funktion, Handlungsorientierung zu geben, Basis für den Fachaustausch im Team zu sein, Solidarität unter den Trägern und insgesamt eine vergleichbare Fachlichkeit herzustellen. Dadurch können sowohl den geflüchteten Menschen die Sicherheit einer „guten“ Beratung gegeben und das sog. „hopping“ zwischen kommunalen Beratungsstellen minimiert als auch die egalitäre Kommunikation mit Öffentlichen Trägern befördert werden. Das sind Zielvorstellungen, deren Umsetzung in der Praxis des Handlungsfeldes FSA untersucht werden müsste.

Welche Standards sollten in der FSA aufgestellt und wie konkret können sie beschrieben werden?

Vor allem in den Befragungen 2016 und 2017 wünschten sich mehrere Fachkräfte Orientierung durch eine genaue Aufstellung der Aufgaben, die „Pflichtaufgaben“ der FSA wären, die also zwingend durchgeführt werden müssen. Seit 2020 hat die Landesarbeitsgemeinschaft FSA/MSA in ihrem Positionspapier Grundprinzipien der Arbeit und Aufgaben zusammengestellt, die eine gute fachliche Orientierung bieten[3].

Freie Träger wünschten sich neben der Festlegung der Aufträge, auch die der Grenzen bzw. von Schwerpunktsetzungen in der Arbeit, da mit den bestehenden Personalschlüsseln unmöglich „alles erledigt werden könne, was aus Sicht der Lebenssituation der Geflüchteten anfalle“.

Besonders die Freien Träger geben an, dass nicht nur Aufgaben als Standards festgelegt werden müssten, sondern auch neben der Klärung des Selbstverständnisses der FSA zunächst eine Verständigung über die Ziele stattfinden müsse, um dann die Aufgaben zu konkretisieren und die nötigen Rahmenbedingungen festzulegen. So heißt es in einem Interview:

„Also ich denke, wir als [Name des Trägers] haben, wenn es um Flüchtlingssozialarbeit geht und was sie bewirken soll, vielleicht andere Ziele als der Geldmittelgeber. Also ich denke, da müsste man sich erst mal auf die Ziele einigen, um dann zu sagen, okay, das sind die Ziele, das ist also zumindest das Level, wo wir uns einigen können, das wollen wir, und dann die Frage, wie können wir das erreichen? Und wenn wir das erreichen können, was brauchen wir dafür? Also die drei Sachen, Ziele, wie können wir das erreichen und wenn wir das erreichen wollen, was brauchen wir.“

Dieser Selbstbestimmungs- und Aushandlungsprozess von Zielen, Aufgaben und Rahmenbedingungen innerhalb der Träger und zwischen den beteiligten Trägern scheint ein Wunsch, aber nur bedingt Praxis zu sein. Angenommen wird, dass die Ziele und Aufgaben, die Freie Träger aus ihrer sozialpädagogischen Perspektive heraus wünschen und wahrnehmen, nicht mit den Zielen und Aufgaben der Öffentlichen Träger als Geldmittelgeber übereinstimmen könnten, da ihnen grundverschiedene Interessen zugrunde lägen. Hier deuten sich die (Rollen-)Konflikte an, die auf Grund unterschiedlicher Handlungslogiken oder wegen der Nichtkenntnis der (sozialpädagogischen) Praxis durch die Geldgeber zwischen Freien und Öffentlichen Trägern auftreten können.

In der Tat gab es mehrfach (auch in der sachsenweiten Befragung von 2020) die Forderung, die Unabhängigkeit der FSA von den Behörden festzulegen, damit diese die Sozialarbeiter*innen nicht als ihren „verlängerten Arm“ sehen würden, der Kontrollfunktionen und Zugriff auch in den Unterkünften ermöglicht. Dass diese Befürchtung nicht gänzlich haltlos ist, zeigt folgendes Zitat aus einem Expert*inneninterview mit der „Sachgebietsleitung Integration“ eines öffentlichen Trägers (wenngleich diese Position in ihrer Radikalität natürlich nicht allen öffentlichen Trägern unterstellt werden darf und soll):

„[…] Dass wir beobachten oder die Wahrnehmung haben, dass der Sozialarbeiter natürlich mit dem andauernden Vorhandensein und der Beschäftigung mit seinem Klientel in bestimmten Fragen, ich sage mal, die Seite gewechselt hat. Dem ist nicht mehr bewusst, für wen er eigentlich arbeitet, was für einen Auftrag er hat. Dass er nicht den Auftrag hat zu gucken, wie es dem, für den er da ist, von der sozialen Ausgestaltung her am besten geht, sondern dass er einen klaren verwaltungsrechtlichen Auftrag hat. […] Sie sind bei uns unter Vertrag. Sie sind mit ihrer Tätigkeit Bestandteil der Tätigkeit der Landkreisverwaltung. […] Da hätte er ihm (dem Klienten – Anmerkung der Autorinnen) schon sagen müssen: Ich bin weder dein Rechtsbeistand noch argumentiere ich für dich. Das ist nicht meine Aufgabe. Weil ich werde von dem Landkreis nicht dafür bezahlt, dass eine verwaltungsrechtliche Entscheidung von mir angegriffen oder, sage ich mal, unterminiert wird.“.

So wie die Öffentlichen Träger detaillierte Nachweise über die Umsetzung der finanzierten Tätigkeiten der FSA einfordern, fordern Freie Träger von den Behörden und Verwaltungen die Festlegung transparenter Kriterien für ihre Entscheidungen für Genehmigungen oder Ablehnungen von Anträgen sowie generell zur Vergabe der Aufträge an Freie Träger für die FSA.

Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass bilaterale Kommunikation, die zur Anerkennung und zum Verständnis der jeweiligen Arbeitsweisen und -kontexte beiträgt und bestenfalls in der Festlegung gemeinsamer Standards mündet, die Grundlage für eine leistungsfähige und zufriedenstellende FSA ist.

Letztendlich wurden in den verschiedenen Erhebungen von den Praktiker*innen folgende Aspekte zur Bestimmung von Standards der FSA genannt:

  • Ziele und Aufgaben sowie Zuständigkeiten der FSA,
  • Grundlegende Arbeitsweisen und ethische Prinzipien im Umgang mit den Adressat*innen,
  • Zugänglichkeit für Adressat*innen der FSA (Standort, Erreichbarkeit, Garantie regelmäßiger Öffnungszeiten/Sprechzeiten, Barrierefreiheit, Verfügbarkeit von Sprachmittlung, technische Ausstattung wie Telefon, Laptop, mobiler Drucker, Einzelberatungen durchführen können – aus Gründen des Datenschutzes, des Vertrauens und der Konzentrationsfähigkeit),
  • Klare und einheitliche Rahmenbedingungen bezüglich des Betreuungsschlüssels, Bezahlung und Entfristung,
  • sozialpädagogische/sozialarbeiterische Ausbildung des Personals,
  • nötige Zusatzqualifikationen bzw. die für den Erwerb notwendige Freistellung,
  • Garantie von Supervision und Weiterbildung für Praktiker*innen der FSA,
  • Beachtung gesetzlicher Regelungen wie die Vorlage eines Führungszeugnisses, Beachtung des Datenschutzes etc.

Kontroverse Äußerungen gab es vor allem zu Festlegungen zum Umgang mit besonderen Problemlagen (wie z. B. einer Suizidandrohung) und zu standardisierten Fragebögen für Clearinggespräche. Während einige Fachkräfte diesbezüglich die Notwendigkeit von Standardisierung sahen, lehnten in derselben Befragung andere Fachkräfte eine diese in genau diesen Punkten ab mit dem Hinweis, ein Ablauf der Beratung oder einer Gesprächsführung könne keinesfalls standardisiert werden – zu individuell seien die Problemlagen und Ressourcen: „Nicht sinnvoll finde ich allerdings die derzeitige Herangehensweise des Sozialamtes. Scheinbar war hier jemand der Annahme, dass es Standards gibt, wie lange es dauert, bis ein Schuldenberg abgearbeitet ist.“.

Neben der Frage, was überhaupt Standards für die Flüchtlingssozialarbeit sein können, kam in den Untersuchungen des Projektes immer auch die Thematik zur Sprache, wie konkret diese festgeschrieben sein könnten. Dabei ging es einerseits um die Konkretheit der Formulierungen in den Aufträgen an die Flüchtlingssozialarbeit und damit einhergehend die Befürchtung, der FSA keine Flexibilität für ihre Arbeitsweise zu lassen. Andererseits ging es um die Anforderungen an die Konkretheit der durch die FSA zu leistenden Dokumentationen und Berichte – einige sächsische Träger berichteten über enorm detaillierte Anforderungen bzw. Vorgaben, welche zeitliche Ressourcen für die FSA im Übermaß binden. Befragten von Öffentlichen Trägern ging es allerdings auch darum, dass die geforderte und bezahlte Leistung tatsächlich und für sie nachvollziehbar erbracht wird und Formulierungen in Berichten nicht zu allgemein (wie etwa: durchgeführt wurde die „Arbeit am Klienten/an der Klientin“), sondern konkreter auf Aufgaben der FSA bezogen sein sollten.

Wie konkret Standards zu formulieren seien, scheint zwiespältig zu sein. Zur Festlegung von Standards gehöre, dass es lediglich einen Handlungsrahmen geben sollte, der flexibel entsprechend den heterogenen Bedarfen der Geflüchteten sein müsse. Eine Fachkraft begründete das folgendermaßen:

„Standards verstehe ich eher, man setzt sich einen gewissen Rahmen, innerhalb dessen man handeln muss und innerhalb des Rahmens hat man eine riesengroße Flexibilität. Weil, Standardisieren geht nicht. Wir sind keine Maschinen, die Menschen sind auch keine Maschinen. Man kann nicht bei jedem das Gleiche anwenden […]. Also man muss sehr kreativ sein, glaube ich, in dem Bereich. […] Alles kann zum Thema werden und wir nehmen jeden Menschen als solchen wahr mit seinen Anliegen.“

Damit wird sich indirekt gegen eine zu starke Standardisierung von Vorgaben ausgesprochen. Außerdem kann damit auch gemeint sein, dass anzufertigende (Quartals-)Berichte der FSA für das jeweilige Amt teils standardisierte Kriterien enthalten, die aus Sicht der Praxis nicht immer die zu beratenden Themen der Geflüchteten spiegeln.

Wer sollte Standards in der FSA ‚machen‘ und wie kommt man zu ihnen?

Das Erstellen von Standards ist ein Kommunikations- und Aushandlungsprozess, der zwischen Akteuren auf verschiedenen Ebenen stattfinden müsse: innerhalb des Teams und in der Organisation/beim Träger bzw. bei der Dachorganisation, zwischen Freien Trägern (bezüglich einer Einigung auf gemeinsame durchzusetzende Mindeststandards, einschließlich einzufordernder Rahmenbedingungen) sowie zwischen den Öffentlichen und Freien Trägern. Dafür müsse eine Zusammenarbeit ‚auf Augenhöhe‘ von allen Seiten gewollt sein. Freie Träger sollten an der Erarbeitung der Standards entscheidenden Anteil haben, da sie über die Praxiserfahrung verfügten und die Interessen der Adressat*innen einbeziehen könnten.

Diese – offenbar dauerhafte und für andere Handlungsfelder ebenso geltende – Forderung lässt sich auch in der Literatur finden: „Im Rahmen der Qualitätssicherungsdebatte müssen in letzter Zeit nun aber viele Sozialarbeitende die Erfahrung machen, daß (sic!) nicht sie, sondern Organisationsberater, Betriebswirtschaftler u. a. die Standards Sozialer Arbeit definieren: Dies wird so bleiben, sofern die Sozialtätigen keine eigenen theoretisch-professionellen Kriterien einbringen können“ (Staub-Bernasconi 1998, S. 99). Das, was z. B. in der Kinder- und Jugendhilfe durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz bzw. durch das neue Kinder-und Jugendstärkungsgesetz formal-juristisch geregelt ist, nämlich dass Qualität etwas Entwicklungsoffenes und Auszuhandelndes ist in der Kooperation zwischen Öffentlichen und Freien Trägern, scheint auch dort in der Praxis zwar über Jahre gewachsen zu sein, aber nicht immer zu gelingen. Dort sind es Arbeitsgemeinschaften und Jugendhilfeausschüsse, in denen „die Grundlage eines gemeinsamen, verantwortungsbewussten und nach den Kriterien der Fachlichkeit, wie denen des KJHG-Konzepts der Jugendhilfe, formuliert, beschlossen und mit messbaren Indikatoren versehen werden“ (Peters 2000). Die Kooperation und ihre Organisation sollte für die FSA in einem Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetz bzw. in seiner Durchführungsverordnung (oder anderweitig) formal festgeschrieben werden, um sie auf dieser Grundlage auch gestalten zu können und zu müssen mit dem Ziel, Qualitätsstandards der FSA jeweils kommunal konkret zu bestimmen. 

Problematisch ist für die befragten Fachkräfte hier, dass die Erarbeitung von Standards bei den Freien Trägern neben der alltäglichen Arbeit geschehen müsse und die entsprechende Zeit für Standard-/Qualitätsdiskussion nicht finanziert sei.

Messbarkeit durch Standards?

Wie dargestellt, war ein wichtiger Punkt, der bei der Auswertung der Frage „Wozu dienen Standards / wo wären Standards in der FSA hilfreich?“ erkennbar wurde, die Hoffnung auf Messbarkeit und Vergleichbarkeit der FSA innerhalb einer Kommune, eines Landkreises oder gar des Bundeslandes. Im Folgenden sollen die verschiedenen Argumentationslinien genauer fokussiert werden.

Qualitätsmanagement (QM) in der FSA wird kontrovers diskutiert. Dabei ist es nicht so, dass jede Form von Qualitätsmanagement grundsätzlich abgelehnt wird. Im Gegenteil wurde in den Interviews beispielsweise auch gefordert, dass die QM-Entwicklung von der Geschäftsführung der Träger unterstützt und deren Umsetzung kontrolliert werden müsse.

Qualitätsmanagement sei der Prozess, um die Arbeit so auszurichten, dass den Menschen auch wirksam geholfen werden könne. Aber – das ist die von vielen Seiten gestellte Frage: Wie kann messbar werden, ob die Hilfe wirksam war?

Bestimmte Qualitätskriterien wie Erreichbarkeit und andere strukturelle Aspekte bzw. Rahmenbedingungen ließen sich messen, während Arbeitsergebnisse „direkt am Klienten*/an der Klientin*“ schwer messbar seien. So formuliert eine Interviewperson etwas sarkastisch: „Aber jetzt direkt das Arbeitsergebnis im Sinne von ‚hat Ihre Beratung über die Mülltrennung etwas genutzt? Nein, sie schmeißen immer noch die Joghurtbecher in den Restmüll‘ – das funktioniert nicht.“ Verglichen wird die Erfahrung in der FSA mit denen z. B. in der Suchtberatung: Nicht ihre Wirksamkeit sei unmittelbar messbar, sondern ob der Klient/die Klientin zunächst einen Termin dort gemacht und wahrgenommen habe. Hier wird – auch durchaus berechtigt – die Frage relevant, woran sich der Erfolg der Arbeit der Professionellen ‚messen‘ kann. Noch deutlicher wird am Beispiel der Mülltrennung, dass Interessen von Gemeinschaft/Gesellschaft und sie vertretenden Öffentlichen Trägern handlungsleitend für die Messung von Wirkungen sind, die Interessen der Adressat*innen dagegen nicht vordergründig. Deshalb „funktioniert das (so) nicht“.

Wirkungsforschung in der Sozialen Arbeit ist ein anhaltendes und umstrittenes Thema. Stefanie Albus und Holger Ziegler (2013) haben Versprechen der Wirkungsforschung – die Rechte der Adressat*innen zu stärken, die Passgenauigkeit von Hilfen und die Lebensverhältnisse der Adressat*innen verbessern zu wollen sowie bestimmte herangezogene Wirkungsindikatoren – genauer untersucht. „Zwar lautet die Kernfrage im Steuerungsdiskurs […]  offiziell vor allem ‚What Works‘. Wenn die Ergebnisse allerdings nicht opportun waren (und dies ist eher die Regel als die Ausnahme), ließ sich die Reaktion auf die Ergebnisse der Wirkungsforschung aber eher mit der Frage ‚Who Cares?‘ zusammenfassen“ (ebd., S. 164) – in diesem Sinne ist die Interessengeleitetheit von Kriterien der Messbarkeit entscheidend für die Wirkungsmessung.

Die Debatte darüber, was wirkt, ist letztlich eine Debatte darüber, „was der Auftrag und das Ziel Sozialer Arbeit sein soll und wie Soziale Arbeit durchzuführen sei“ (ebd., S. 176). Das gilt vor allem in der Flüchtlingssozialarbeit, für die die gemeinsame Aushandlung von normativen Grundlagen von Standards im Grunde genommen immer noch aussteht. „Anders formuliert ist die Frage der Wirkungsforschung und Wirkungsorientierung nicht zuletzt eine politische Auseinandersetzung darüber, was gute Soziale Arbeit ist. […] Wirkungsorientierte Verfahren werden je nach der gewählten Informationsbasis unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und unterschiedliche Werkzeuge und Instrumente einsetzen. Insbesondere wenn es bei der Auswahl der wirkungsorientierten Informationsbasis um die sozialarbeiterische Bearbeitung der praktischen Lebensführung Dritter geht, ist es eine wesentliche Macht- aber auch eine Demokratiefrage, wer daran beteiligt ist und welche Interessen maßgeblich sind, wenn über die Festlegung der gültigen Informationsbasis entschieden wird“ (ebd., S. 176 f.).

Insofern bleibt das Thema der Standards zum Erreichen einer Messbarkeit in der FSA ein weiterhin spannungsreiches zwischen den Trägern in Sachsen, weil es um die konkreten Kriterien/Normen der zu erzielenden Wirkungen geht und wer daran welches Interesse hat.

Die unterschiedlichen Perspektiven und Zielstellungen von Freien und Öffentlichen Trägern zur Messbarkeit der Qualität der Arbeit mit den Klient*innen machen die Aushandlungen von Standards herausfordernd, beispielsweise hinsichtlich der Nutzen-Kosten-Relevanz z. B. im Gesundheitsbereich. Wo sozialarbeiterisch eine umfassende medizinische Versorgung für die Klient*innen angestrebt würde, fokussiere der Geldmittelgeber auf eine möglichst kostengünstige Minimalversorgung.

Auch dies zeigt wiederum, wie wichtig eine gemeinsame Aushandlung von Kriterien von Standards ist. Ein zufriedenstellendes Ergebnis kann nur erreicht werden, wenn alle involvierten Fachkräfte und Arbeitsfelder zusammen auf gemeinsam festgelegte Ziele hinarbeiten und wenn die Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Verbesserung der Arbeit vorhanden sind. Eine spezifische Rahmenbedingung, die für eine qualitativ gute FSA nötig wäre, ist die Kontinuität der Arbeit. Es wäre wichtig, die unsicheren, prekären Arbeitsbedingungen der FSA zu verändern, denn kurzfristige Arbeitsverhältnisse erschweren die direkte Arbeit mit den Adressat*innen in den Teams und in den Netzwerken/Kooperationen.

Fazit

Die Auswertung des Teils der Interviews von Fachkräften in der FSA in Sachsen zum Thema Fachstandards zeigt die Ambivalenz von Qualitätsentwicklung und Standards konkret auf, die sich vor allem auch in einem strukturell spannungsreichen Verhältnis von Freien und Öffentlichen Trägern zeigt. Die LAG Flüchtlingssozialarbeit hat Standards für die FSA in Sachsen allgemein bestimmt, die über langwierige politische Diskurse Eingang in Gesetze bzw. Verordnungen finden sollen. Die Freien Träger haben ihre Konzeptionen zur FSA entwickelt, allerdings sind diese oft nicht einsehbar. Offenbar ist die Konkurrenz unter den Trägern angesichts der Ungewissheit weiterer Förderungen nicht unbeträchtlich. So ist die Diskussion um Fachstandards in der FSA in den sächsischen Kommunen nicht abgeschlossen und bleibt für Forschung und Praxis ein vielschichtiges Feld.


 3. Ein Strukturierungsvorschlag zur fachlichen Diskussion von Standards in der FSA

In der Qualitäts- und Standarddebatte Sozialer Arbeit hat sich die Bewertungsordnung anhand der drei Dimensionen Struktur, Prozess und Ergebnis weitgehend durchgesetzt. Qualität ist demnach differenziert zu betrachten anhand ihrer materiellen Rahmenbedingungen (Strukturqualität/Strukturstandards), ihrer für die Dienstleistung bedeutsamen Handlungsvorgänge (Prozessqualität) und der Ergebnisse des Zusammenspiels aus Rahmenbedingungen und Handlungsvorgängen (Ergebnisqualität) (vgl. Herriger/Kähler 2003, S. 11 f.).

Diese Aufschlüsselung ist zwar nicht ausreichend, um die Qualität personenbezogener sozialer Dienstleistungen zu bestimmen, ihre nicht-technische Dimension und die „daraus resultierenden Handlungsdilemmata bei der Qualitätsbeurteilung […]. Gleichwohl bleibt hinzuzufügen, dass diese ‚Qualitätsebenen‘ als analytische Bezugskategorien durchaus sinnvoll sein können, wenn sie dem geforderten Diskurs um den ‚Kern‘ der Dienstleistung nachgeschaltet sind oder mit ihm einhergehen.

Sofern Standards als Qualitätskriterien verstanden werden, kann eine solche Differenzierung somit gegebenenfalls auch als wertvolle Hilfe bei deren Formulierung verstanden werden“ (Hansen 2010, S. 58). Wir nutzten sie deshalb bei der Diskussion um Standards, die sich mit und in der FSA Beschäftigte wünschten.

Wir unterschieden zudem die Ebene der ‚Standardisierung‘ und der ‚Einzelfalloffenheit‘ (vgl. Hansen 2010, Schilling 2017). Standardisierung heißt hier, dass Standards als „Orientierungsrahmen“ oder „Handlungskorridore“ kollektiv auszuhandeln sind und dies ein Prozess der Verständigung ist (vgl. Hansen 2010, S. 162). „Wenn Akteure über die Merkmale bestehender und gewünschter (Dienst-)Leistungen kommunizieren, wird deren Steuerung im Sinne gezielter Veränderung und Gestaltung qualifiziert“ (ebd.). Uns ging es darum, die Alltagstheorien bzw. subjektiven Deutungen von Fachkräften sowohl bei Öffentlichen als auch Freien Trägern zu Standards zu erfassen und außerdem eine Möglichkeit einer strukturierten Diskussion zu finden. Im Vordergrund stand so etwas wie die berufliche Selbstregulierung von Fachkräften in Teams und übergreifend, z. B. in Regionalwerkstätten, vor allem deshalb, weil es weder sozialpolitisch noch organisationsintern Standards für die FSA gab[4].

Der folgende Vorschlag, um zu bestimmten Dimensionen von Standards in der FSA beteiligungs- und prozessorientiert ins Gespräch zu kommen, beruht auf unterschiedlichen Quellen. Zum einen führte das Projekt „Wissenschaftliche Begleitung der Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen“ eine Gruppendiskussion zu Qualitätsstandards der Flüchtlingssozialarbeit beim Caritasverband für Dresden e.V. im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge im Jahr 2016 (vgl. Qualitätsstandards der Flüchtlingssozialarbeit 2016) durch, zum anderen diskutierten wir die Masterarbeit von Ruth Schilling (2017). Des Weiteren erschienen verschiedene Positionspapiere, die die FSA im Rahmen eines Integrationskonzepts erwähnten (vgl. z. B. Aktuelle Standortbestimmung der BAGFW 2015) oder zentral positionierten vor allem für die Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften (vgl. Initiative Hochschullehrender zu Sozialer Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften 2016), später wurden die Empfehlungen der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Sachsens für Standards der FSA (vgl. Standards der Flüchtlingssozialarbeit 2017) und die Standards der Landesarbeitsgemeinschaft Flüchtlingssozialarbeit/Migrationssozialarbeit in Sachsen (vgl. Positionen der LAG zur Flüchtlingssozialarbeit 2019) entwickelt und veröffentlicht. Die Inhalte dieser Prozesse und Dokumente flossen in den Strukturierungsvorschlag ein.

‚Standardisierung‘ erscheint hinsichtlich folgender Aspekte sinnvoll:

  • Die Auftragsklärung über Zielgruppen und allgemeine (Wirkungs-)Ziele und Aufgabenbereiche (im Sinne von Ergebnisqualität). Das heißt z. B., dass zur Verbesserung der jeweiligen Lebensqualität der geflüchteten Menschen beigetragen wird, wie beispielsweise zur selbstständigen Bewältigung des Lebensalltags und hier entsprechende Hilfe bei der Erstorientierung im neuen Wohnumfeld angeboten wird (weitere Wirkungsziele und Aufgaben vgl. Qualitätsstandards der Flüchtlingssozialarbeit 2016). Die Zielformulierung und -differenzierung ist ein wesentliches Moment der Selbstvergewisserung.
    Des Weiteren sollte idealerweise die Klärung der Abgrenzung zu Aufgaben von anderen Migrationsdiensten (MBE und JMD), von Koordinator*innen (z. B. den Kommunalen Integrationskoordinator*innen) und von Regeldiensten (wann wird wohin verwiesen) dazu gehören.
    Ebenso geht um die Klärung der Verweigerung von fachfremden Aufgaben anderer Dienste und Behörden bzw. die Aushandlung möglicher Kontrollaufgaben;
  • Die Bestimmung der zuverlässigen Hilfe- bzw. Beratungsleistungen als Komm- und/oder Gehstrukturen und wie bestimmte Beratungsinhalte handelnd umzusetzen sind (Prozessqualität). Es geht darum, wie Beratungsinhalte in Aushandlung mit den geflüchteten Menschen und unter Berücksichtigung ihrer Selbstbestimmung, Ressourcen und Selbstständigkeit methodisch umzusetzen sind, also z. B. Informationen geben über den Sozialraum, ÖPNV, über wichtige Adressen, Zuständigkeiten usw. Hier ist auch zu bedenken, welche Aufgaben Ehrenamtliche übernehmen, wie z. B. die Begleitung und Unterstützung im Sozialraum, beim ÖPNV und bei der Kontoeröffnung.
  • Die Qualifikation des Personals (ein abgeschlossenes Studium im Bereich Soziale Arbeit bzw. Sozialpädagogik und/oder Sozialarbeit oder ein vergleichbarer Abschluss (mit Option von Fort- bzw. Weiterbildung, um Deprofessionalisierung entgegenzuwirken), Sprachkenntnisse in mindestens einer Fremdsprache u. a., auch Gehaltseingruppierung angelehnt an den Öffentlichen Träger).
  • Die Ausstattung (als Strukturqualität), die am konkretesten erfassbar ist, wie regelmäßige Sprechzeiten; ein Arbeitsplatz, geeignete Arbeitsmittel (PC und Drucker, auch mobile, Diensthandy, Fahrzeug) und Raum für Einzelgespräche; Zeit für Teamberatung, kollegiale Fallberatung bzw. Supervision und für Fort- und Weiterbildung (z.B. Asyl- und Sozialrecht, Zusatzausbildungen für besondere Lebenslagen); Zeit für Kooperation, Vernetzung und fachlichen Austausch mit externen Akteuren (Behörden, Regeldiensten u. a.); Bereitstellung von Übersetzungsleistungen; angemessener Personalschlüssel; Art der Dokumentation; Mittel für Öffentlichkeitsarbeit; rechtliche Grundlagen für Datenschutz und Schutzkonzepte; hierzu gehört auch die Frage der Nachhaltigkeit der Arbeit; also Regelförderung statt Projektförderung.

Mit Flemming Hansen (2010, S. 17) ist nochmals zu betonen: „Kontrollierbare ‚Mindeststandards‘ werden sich in der Regel auf die strukturelle Ebene, z. B. die soziale Infrastruktur wie Räume, personelle Ausstattung usw., beziehen, also vorgehaltene Leistungen, die leicht zählbar und messbar sind. Die Einhaltung von Standards hingegen, die versuchen, den Kern sozialpädagogischer Intervention methodisch zu strukturieren, ist deutlich weniger gut zu kontrollieren […]. Allgemein gehaltene Standards wie die von nationalen Agenturen entwickelten Qualitätskriterien verfügen häufig über einen hohen Abstraktionsgrad, sodass direkte Kontrolle schwerlich vorstellbar ist. Stattdessen wird es hier auf subjektive Einschätzungen im Einzelfall ankommen.“

Als Grundlage der Diskussion lassen sich die Orientierungen hier auch nur allgemein formulieren. Die Konkretisierung erfolgt durch Teams und Träger entsprechend den konkreten Bedingungen, wie z. B. bei der Flüchtlingssozialarbeit des Caritasverbandes für Dresden e.V. im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge.

Die einzelfalloffene, begrenzt standardisierbare Ebene bezieht sich auf

  • den Einzelfall und diesbezüglich das Herunterbrechen/Anwenden von theoretischen und methodischen Konzepten Sozialer Arbeit (wie z. B. Empowerment, Lebensweltorientierung, Partizipation, Inter- bzw. Transkulturalität bzw. Beratungskonzepte und -methoden, eventuell Case Management, auch das Vorgehen bei besonderen Lebenslagen (Traumatisierung, Radikalisierung usw.) und
  • insbesondere die konkrete Zielaushandlung und methodische Zielerreichung im Einzelfall sowie die Kooperation und Arbeitsteilung mit anderen Systemen und die begründete Begleitung von Klient*innen dorthin, eventuell auch durch Ehrenamtliche.

Es ist nicht so, dass es keine Standards für die FSA gäbe, denn Soziale Arbeit ist eine Fachdisziplin, die von vielen Professionellen studiert wurde und die fachliche Orientierung für die einzelnen Handlungsfelder wie die Flüchtlingssozialarbeit geben sollte.

Außerdem ist immer wieder hervorzuheben, dass Qualitätsentwicklung ein offener Prozess ist, für den sich aber Zeit genommen werden muss.

Standards schlagen sich in Konzeptionen für die FSA nieder, über die die Träger verfügen sollten. Meist werden sie relativ allgemein formuliert sein und bedürfen der Konkretisierung – je nach Situation im Einzelfall und je nachdem, wo in Teams, bei Trägern und trägerübergreifend fachlicher Diskussions- und Austausch-Bedarf in Qualitätszirkeln/Arbeitsgruppen/Arbeitsgemeinschaften (je nachdem, wie die arbeitsfähigen Gruppen genannt werden) definiert wird. 

Wie ein*e Kooperationspartner*in formulierte, gilt: Zwanghafte Gleichmacherei hilft nicht weiter (und funktioniert nicht in der Arbeit mit Menschen), deshalb sind Standards und Standardisierung offen. Der Umgang mit Standards bedeutet, eine Balance herzustellen „zwischen Standardisierung und Einzelfalloffenheit, Norm und Fall, Zweckrationalität und Handlungsorientierung, Technologie und Hermeneutik“ (Schilling 2017: 54).


Literaturverzeichnis

  • Aktuelle Standortbestimmung der BAGFW zu den Herausforderungen der Aufnahme und Integration von Geflüchteten (2015). www.sozialbank.de/fileadmin/2015/documents/3_Expertise/3.3.5_Europa-aktuell/Integrationskonzept_-_Stand_8.12.2015.pdf (Abfrage: 15.12.2021).
  • Albus, Stefanie/Ziegler, Holger (2013): Wirkungsforschung. In: Graßhoff, Gunther (Hrsg.): Adressaten, Nutzer, Agency. Akteursbezogene Forschungsperspektiven in der Sozialen Arbeit. Wiesbaden: Springer VS, S. 163–180.
  • Gemende, Marion/ Jerzak, Claudia/ Lehr, Margit/ Sand, Marianne/ Starke, Dorit/ Wagner, Bernhard (Hrsg.) (2022): Flüchtlingssozialarbeit in Bewegung. Ein Handlungsfeld der Sozialen Arbeit am Beispiel der FSA in Sachsen. Weinheim Basel: Beltz Juventa.
  • Hansen, Flemming (2010): Standards in der sozialen Arbeit. Berlin: Eigenverlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. 
  • Herriger, Norbert/ Kähler, Harro Dietrich (2003): Erfolg in der Sozialen Arbeit. Gelingendes berufliches Handeln im Spiegel der Praxis. Bonn: socialnet Verlag.
  • Holinski, Katrin (2014): Positionspapier zur Abgrenzung von qualifizierter hauptamtlicher Flüchtlingssozialarbeit und ehrenamtlicher Arbeit im Bereich Flucht und Asyl in Sachsen. Hrsg. vom Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. mit Unterstützung von Pro Asyl. www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/wp-content/uploads/2016/04/Positionspapier.pdf (Abfrage: 15.12.2021).
  • Initiative Hochschullehrender zu Sozialer Arbeit in Gemeinschaftsunterkünften (2016). Positionspapier: Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften. Professionelle Standards und sozialpolitische Basis. http://www.fluechtlingssozialarbeit.de/Positionspapier_Soziale_Arbeit_mit_Gefl%C3%BCchteten.pdf (Abfrage: 15.12.2021).
  • Peters, Friedhelm (2000): Vorwort zum Themenschwerpunkt „Kooperation zwischen öffentlichen und freien Trägern“ In: Forum Erziehungshilfen, Heft 4, S. 211–212
  • Positionen der LAG zur Flüchtlingssozialarbeit (2019). lag-migration-sachsen.org/ (Abfrage: 15.12.2021).
  • Schilling, Ruth (2017): Welche Standards benötigt und wie viel Standardisierung verträgt Flüchtlingssozialarbeit? Eine dialektische Erörterung der Standardisierungsanforderungen der Flüchtlingssozialarbeit. Masterarbeit an der EHS Dresden.
  • Schmitt, Caroline (2019): Arbeitsbeziehungen mit jungen Geflüchteten. Pädagogische Fachkräfte zwischen anwaltschaftlicher Vertretung und verbesondernder Stigmatisierung. In: Neue Praxis, Heft 6, S. 491–509.
  • Qualitätsstandards der Flüchtlingssozialarbeit des Caritasverbandes für Dresden e.V. im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge vom 16.12.2016. Pirna.
  • Standards der Flüchtlingssozialarbeit (2017): Empfehlungen der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Sachsens. liga-sachsen.de/fileadmin/user_upload/news/2017/fluechtlingssozialarbeit.pdf (Abfrage: 15.12.2021).
  • Staub-Bernasconi, Silvia (1998): Soziale Probleme, Soziale Berufe, Soziale Praxis. In: Heiner, Maja/Meinhold, Marianne/von Spiegel, Hiltrud/Staub-Bernasconi, Silvia (Hrsg.): Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Freiburg im Breisgau: Lambertus. S 11–137.

[1] Ruth Schilling studierte im Master Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Dresden und beschäftigte sich auf Grund der anhaltenden Debatte um Standards in der FSA mit dem Thema in ihrer Masterarbeit „Welche Standards benötigt und wie viel Standardisierung verträgt Flüchtlingssozialarbeit? Eine dialektische Erörterung der Standardisierungsanforderungen der Flüchtlingssozialarbeit“. Wir greifen auf diese gelungene wissenschaftliche Arbeit zurück. Sie arbeitete selbst in der FSA.

[2] Wenn beispielsweise Hausmeistertätigkeiten an die FSA delegiert werden, zeugt dies von fehlendem Verständnis von Sozialer Arbeit als Profession.

[3] Landesarbeitsgemeinschaft FSA/MSA in Sachsen: Positionen der LAG zur Flüchtlingssozialarbeit http://lag-migration-sachsen.org/

[4] Jedoch haben unterschiedliche Wohlfahrtsverbände und das Bundesamt für Flüchtlinge (BAMF) bereits Qualitätsstandards bzw. Richtlinien für ihre Migrationsdienste und für die bundesfinanzierten Migrationsberatungsstellen entwickelt, die durchaus eine Grundlage bilden.