Sächsische Abschiebepraxen und die Frage nach sozialarbeiterischer Positionierung

von Christina Riebesecker, Kontaktgruppe für Asyl und Abschiebehaft e.V., Initative BringBackOurNeighbours
und Marianne Sand, Projekt Etablierung einer Landesfachstelle FSA/MSA in Sachsen


Das Thema Abschiebung ist in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen allgegenwärtig. Unter den möglichen sozialen Ausschließungen ist Abschiebung die gewaltvollste und vollständigste Form der Ausschließung von Menschen. Soziale Arbeit ist in Unterstützungs- und Beratungsstrukturen und insbesondere innerhalb von Unterbringungsstrukturen in verschiedenen Formen in Abschiebungen involviert und teilweise beteiligt.

An diesem Arbeitstisch ging es um die Rolle der Sozialen Arbeit im Spiegel ihres ethischen Mandates und damit verbunden um die Frage, was Soziale Arbeit im Kontext von Abschiebungen (nicht) tun muss und was in der Arbeit mit von Abschiebung bedrohten Personen zu beachten ist.

Anhand verschiedener Fallbeispiele wurden sozialarbeiterische Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, gesammelt und im Plenum besprochen. Die Vorstellung des (im Rahmen der Kampagne „Bring Back Our Neighbours“ erstellten) „Notfallkoffer gegen Abschiebung“ bot den Teilnehmenden weitere Handlungsempfehlungen sowie eine Auflistung möglicher Kooperations- bzw. Ansprechpartner*innen für den Fall einer (drohenden) Abschiebung.


1. Zahlen zu Abschiebungen aus Sachsen

Der sächsische Flüchtlingsrat veröffentlicht regelmäßig Zahlen zu Abschiebungen in Sachsen: www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/publikationen/zahlen-und-grafiken/

Die letzten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2021 und zeigen, dass es wieder mehr Abschiebungen gab als 2020 wobei nun wieder vermehrt Ehepartner*innen getrennt werden und nach wie vor Familientrennungen durch Abschiebungen vollzogen werden. Auch zeigt sich, dass 2021 durch sächsische Behörden so viele erkrankte Personen abgeschoben wurden, wie in keinem vergangenen Jahr seit 2016.

Quelle: Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
  • Sachsen: 1. HJ 2022: 248 Abschiebungen / 15.346 Ausreisepflichtige, davon 11.771 mit Duldung; 2021: 605 Abschiebungen
  • Bundesweit 1. HJ 2022: 6198 Abschiebungen; 2021:  Im Jahr 2021 wurden insgesamt 11 982 Personen aus Deutschland abgeschoben. (2020: 10 800). Die wichtigsten Zielstaaten waren Georgien (1 116), Albanien (904), Serbien (612), Pakistan (513) und Moldau (505)
  • Abschiebehaft Sachsen 1. HJ 2022: 28, 2021: 103 Personen in Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam

2. Berufsethische Aspekte

Abschiebungen stellen für die Betroffenen eine äußerst gewaltvolle Form der Ausschließung dar. Die (drohende) Abschiebung ihrer Klient*innen stellt die Soziale Arbeit vor die Frage nach Handlungsoptionen aber auch nach ihrer Rolle und Beteiligung in Abschiebeprozessen.

In einem Positionspapier des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit (DBSH) von 2017 beantwortet der Bundesvorsitzende Michel Leinenbach die Frage, ob und in welcher Form Soziale Arbeit an Abschiebungen beteiligt sein kann. Mit dem Hinweis auf die Berufsethik, als „‘Herzstück‘ der Profession der Sozialen Arbeit“[1] schließt Leinenbach jedwede Beteiligung der Sozialen Arbeit aus.

Soziale Arbeit basiert auf der Achtung vor dem besonderen Wert und der Würde aller Menschen und auf den Rechten, die sich daraus ergeben.

Sozialarbeiter_innen sollen die körperliche, psychische, emotionale und spirituelle Integrität und das Wohlergehen einer jeden Person wahren und verteidigen.[2]

Da bei Abschiebungen der Staat klar gegen die Interessen und Bedürfnisse der geflüchteten Menschen handele und damit gegen die Würde und den besonderen Wert der Menschen verstoße, sei eine Beteiligung Professionsangehöriger der Sozialen Arbeit an Abschiebungen ethisch unmöglich. Leinenbach fordert zu kritischer Parteilichkeit auf und dazu, „Forderungen im Zusammenhang von Aufgaben [und] Handlungsvorschriften (…) [an die Soziale Arbeit] auf Grundlage der Berufsethik kritisch zu hinterfragen“[3] und sein Handeln an der Professionsethik zu messen.

Handlungsempfehlungen:

In der Handreichung „Abschiebung aus der Flüchtlingsunterkunft“, die der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt gemeinsam mit der Caritas Magdeburg, dem Paritätischen Sachsen-Anhalt und der Diakonie Mitteldeutschland veröffentlicht hat, wird konkret benannt, in welcher Form Soziale Arbeit in der Praxis an Abschiebungen beteiligt ist:

„In der Praxis geraten Mitarbeiter*innen von Flüchtlingsunterkünften nicht selten in die Situation, dass sie von der Ausländerbehörde oder Polizei zur Unterstützung der behördlichen Maßnahmen

aufgefordert werden.“[4]

Die Form der geforderten Unterstützung kann sein:

  • Anwesenheitskontrollen
  • Der Polizei Zutritt zur Unterkunft gewähren
  • An Durchsuchungen mitwirken
  • Auskunft über den Aufenthalt der Bewohner*innen geben

Im Folgenden wird zusammengefasst aus der empfehlenswerten Handreichung des Flüchtlingsrates Sachsen-Anhalt dargestellt, inwiefern Sozialarbeiter*innen einer Unterkunft ihre Beteiligung an Abschiebungen verweigern können.[5]

A) Anwesenheitskontrollen

  • Es gibt keine allgemeine Kontrollpflicht durch Mitarbeiter*innen der Unterkunft
  • Nach § 87 AufenthG sind nur öffentliche Stellen zur Übermittlung personenbezogener Daten an die Ausländerbehörde verpflichtet. Wohlfahrtsverbände sind keine öffentlichen Stellen, sondern privatrechtlich organisierte Einrichtungen.
  • Ausnahme: zur Gefahrenabwehr

B) Zutritt zur Unterkunft gewähren

  • Wenn die Polizei Zutritt zur Unterkunft verlangt, braucht sie in der Theorie einen Durchsuchungsbeschluss. Oft wird aber der Zutritt nur als „Betreten“ und nicht „Durchsuchen“ deklariert, wozu kein richterlicher Beschluss nötig ist, oder es wird auf „Gefahr in Verzug“ verwiesen.
  • Für Sozialarbeiter*innen in Flüchtlingsunterkünften ist es wichtig zu wissen, dass die Bewohner*innen nicht in grundrechtsfreien Räumen leben. Sie haben Rechte, und
    es ist u.a. Aufgabe der Sozialen Arbeit, sich für diese stark zu machen. Daher ist es wichtig, sich für die Einhaltung der Grundrechte der Bewohner*innen einzusetzen. Sie können der Durchsuchung widersprechen, auf Schutz der Wohnräume hinweisen, (Grundrecht auf Unverletzbarkeit der Wohnung nach Art. 13 GG) und dies protokollieren lassen.

C) Mitwirkung an Durchsuchungen / Herausgabe der Schlüssel

  • Hat die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss, lässt sich die Durchsuchung der Wohnbereiche für eine Abschiebung nicht mehr verhindern.
  • Aber: der*die Betroffene unterliegt zwar einer Duldungspflicht, nicht jedoch einer Mitwirkungspflicht. Inwiefern Mitarbeiter*innen einer Unterkunft den Zutritt zu den Zimmern der Bewohner*innen erleichtern, ist eine Abwägungsfrage.
  • Bewohner*innen sowie die Betreiber*innen der Unterkunft müssen der Polizei nicht den Zutritt zu den Wohnbereichen verschaffen (z. B. durch Aufschließen) – verhindern können sie es jedoch auch nicht. Die Polizei kann ggf. den Schlüsseldienst rufen.
  • Schlüssel der gesuchten Bewohner*innen auszuhändigen ist umstritten, hängt davon ab, wer das Hausrecht hat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind die Bewohner*innen Wohnungsinhaber*innen, sodass nur ihnen die Entscheidung darüber zusteht, die Polizei durch Aufschließen freiwillig in die Wohnung zu lassen. Folgt man dieser Ansicht, ist die Herausgabe der Schlüssel unzulässig. Etwas anders gilt nur im Notfall, wenn
    z. B. eine Verletzungsgefahr der Bewohner*innen – etwa durch Suizidhandlungen – besteht.

D) Auskünfte gegenüber Behörden

  • Wenn die Polizei Auskünfte über Bewohner*innen verlangt, besteht keine Pflicht, in jedem Fall auch eine Auskunft zu geben à nur, wenn die angesprochene Person z. B. für Gefahren verantwortlich ist oder wenn sie dabei helfen kann, erhebliche Gefahren zu beseitigen. Geht es um eine Abschiebung, sind diese Voraussetzungen in der Regel nicht gegeben. Wenn Mitarbeiter*innen von Flüchtlingsunterkünften von der Polizei danach gefragt werden, wo sich die abzuschiebende Person aufhält, dann muss dies in der Regel nicht beantwortet werden. Auch sonstige Fragen zu den Bewohner*innen müssen nicht beantwortet werden.
  • Schweigepflicht
  • Selbst wenn Sozialarbeiter*innen der Polizei über ihre Klient*innen Auskunft erteilen wollten, wäre dies strafrechtlich untersagt. Denn für die Berufsgruppe der staatlich anerkannten Sozialarbeiter*innen und staatlich anerkannten Sozialpädagog*innen sieht § 203 Strafgesetzbuch (StGB) eine Schweigepflicht vor. Dabei kommt es auf den formalen Hochschulabschluss mit staatlicher Anerkennung an, sodass Beschäftigte mit anderen Abschlüssen grundsätzlich nicht unter die Schweigepflicht fallen. Sozialarbeiter*innen dürfen indes keine Geheimnisse, die ihnen die Bewohner*innen anvertraut haben, weitergeben. Ausnahmsweise gilt die Schweigepflicht nicht, wenn eine konkrete Gefahr droht.

E) Bekanntgabe von Abschiebungsterminen

  • Informationen zum Abschiebetermin sind i.S.v. §97a AufenthG zum Dienstgeheimnis erklärt worden à Amtsträger*innen (insbesondere Beamt*innen) droht ein Strafverfahren wegen Geheimnisverrats.
  • Sozialarbeiter*innen sind keine Amtsträger*innen und können nicht wegen Geheimnisverrat strafverfolgt werden.
  • Auch Beihilfe zum Geheimnisverrat kommt nicht in Betracht.
  • Eventuell befasst sich eine Staatsanwaltschaft mit solch einem Fall, eine Verurteilung ist aber unwahrscheinlich.

Im Notfallkoffer gegen Abschiebungen, der im Rahmen der Kampagne „Bring Back Our Neighbous“ erarbeitet wird, sind überblicksartig die wichtigsten Informationen und Handlungsempfehlungen für Fachkräfte zusammengestellt, wie sie im Rahmen ihrer Arbeit Betroffene vor Abschiebung schützen können. Zunächst gilt es die konkrete Abschiebegefahr der Klient*innen einschätzen zu lernen wozu einige Hinweise aufgeführt sind, notwendig ist aber eine umfassende asyl- und aufenthaltsrechtliche Weiterbildung und/oder die Unterstützung von spezialisierten Beratungsstellen.

Die Unterstützungsmöglichkeiten bei Gefahr von Abschiebungen sind vielfältig:

  • Bleiberechtsmöglichkeiten sowie Dauer der Abschiebegefahr mit Anwält*in/Beratungsstelle und Betroffenen abklären
  • Koordination/Abstimmung im Unterstützungsnetzwerk (Beratungsstelle, Anwält*in, Familie, Freund*innen, Kolleg*innen, politische Unterstützer*innen, Kirche etc.)
  • Unterstützung bei Bleibeperspektive, z.B. hinsichtlich eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, oder Sprachkurses, ehrenamtliches Engagement bei Unterstützungsschreiben, beim Zugang zu medizinischer Behandlung (umfangreiche Bedingungen an ärztliche Gutachten!), Verbreitung von Petitionen usw.
  • Unterstützung im behördlichen Verfahren, z.B. Nachweise von Reiseunfähigkeit, familiären Aufenthaltsgründen oder nachhaltiger Integration beschaffen und an die Ausländerbehörde weiterleiten; Begleitung zu Behördenterminen usw.
  • Information zu Abschiebeterminen, Kirchenasyl, Bürger*innenasyl

Die Angst vor Abschiebung ist für die meisten Betroffenen extrem belastend.  Diesem Dauerstress permanent ausgesetzt zu sein, kann Betroffene und ihre Kinder gesundheitlich und im Alltag beeinträchtigen, z.B. in der Schule, auf der Arbeit, bei Deutschkursen oder Fortbildungsmaßnahmen. Die Beeinträchtigung kann sich negativ auf das Wahrnehmen von Terminen und Halten von Absprachen etc. auswirken. Daher kann eine Unterstützungsmaßnahme auch die psychosoziale Unterstützung sein, Unterstützung beim Zugang zu psychologischer Beratung oder Informationen über Selbsttechniken (z.B. über die Psychosozialen Zentren).

Als Fachkraft ist eine umfangreiche Aufklärung über Unsicherheiten, Chancen, Risiken sowie die Unterstützungsmöglichkeiten wichtig, wobei die letztendliche Entscheidung der Betroffenen zu akzeptieren ist.

Der Notfallkoffer enthält darüber hinaus Informationen zu Bleiberechtsmöglichkeiten sowie Kontakte zu Beratungsstellen, Abschiebebeobachtung an Flughäfen, Behörden und Gerichten sowie internationale Kontakte. Außerdem sind Vorlagen enthalten zu Widerspruch gegen die Durchsuchung der Wohnung, Eilantrag vor Gericht, Vollmacht und eine Vorlage für die Bestimmung einer „Person des Vertrauens“, die im Fall einer Unterbringung in Abschiebehaft zu informieren ist. Dazu gibt es auch Tipps für Öffentlichkeitsarbeit zu Abschiebungen.

Der Notfallkoffer für Fachkräfte, die Vorlagen und die Tipps zu Öffentlichkeitsarbeit ist über die Seite von Bring Back Our Neighbours verfügbar: https://bringbackourneighbours.de/notfallkoffer/


3. Fallbeispiele

Anhand dreier Fallbeispiele diskutierten die Teilnehmer*innen des Arbeitstisches in kleinen Gruppen und anschließen im Plenum über Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützung von Klient*innen bei Abschiebungen:

3.1. Angst vor Abschiebung bei dezentraler Unterbringung

Familie T. aus Georgien lebt seit 3 Jahren in einer Gewährleistungswohnung in Bad Gottleuba. Ihr Asylantrag wurde bereits vor 1 Jahr endgültig abgelehnt. Die Familie ist geduldet. Die Mutter ist in Teilzeit beschäftigt, der Vater engagiert sich als Fußballtrainer. Die Kinder, 5 und 9 gehen in Bad Gottleuba in Schule und Kindergarten. Gestern Abend wurde eine Familie aus der Nachbarschaft abgeschoben. Die Familie hat das Polizeiaufgebot und das Durcheinander mit angesehen. Sie kommt nun zu Ihnen ins Büro und hat große Angst vor einer Abschiebung und bittet um Ihre Hilfe und Ihren Rat. Was würden Sie tun?

Diskutiert wurden hierbei:

  • berufsethische Aspekte, insbesondere die parteiliche Unterstützung, sowie Achtung der Unversehrtheit und würdevoller Behandlung
  • aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten, z.B. aufgrund von nachhaltiger Integration (25b AufenthG – nach 4 Jahren, 51% Lebensunterhaltssicherung), Härtefall (§ 23a AufenthG – Unterstützungsschreiben!), Asylfolgeantrag (eher wenig aussichtsreich, abh. von Herkunftsland und Einzelfall).
  • krankheitsbedingtes Abschiebeverbot – beachte Gesundheitsfiktion (Nachweis für Erkrankungen unmittelbar und umfangreich zu erbringen), Probleme beim Zugang zu adäquater (fach-)ärztlicher Versorgung sowie genaue Vorgaben an ärztl. Gutachten. Dabei brauchen Betroffene oft Unterstützung der Fachkraft, eine bloße Verweisberatung reicht i. d. R. nicht aus
  • Zugang zu Rechtsberatung durch spezialisierte Anwältin oder Beratungsstelle
  • Unterstützung beim Ausbau der Bleibeperspektive v.a. bei Unterstützung sozialer Integration und Lebensunterhaltssicherung (Arbeit, Praktikum, Ehrenamt, Freizeitgestaltung, Sprachkenntnisse, …)
  • Informationen zur sog. Freiwilligen Ausreise: Verfahren, Fördermöglichkeiten aber auch Grenzen des Schutzes vor potenzieller Abschiebung
  • Psychosoziale Unterstützung: Ängste ernst nehmen, ggf. Ablauf einer Abschiebung durchgehen (Notfallplan), Beruhigungsübungen zum Umgang mit Angst (Anfrage bei Queer Refugees Network, kommenden Flyer von Bring Back Our Neighbours)
  • ggf. soziales Netzwerk der Familie aktivieren, wer kann wie unterstützen?
  • Information über Abschiebetermine: deporation alarm (Facebook, Twitter, Instagram, Telegram)
  • Ehrliche Beratung über Unsicherheiten, Risiken und Chancen sowie Grenzen der Unterstützung.

3.2. Laufende Abschiebung aus der Gemeinschaftsunterkunft

Nawrooz K. aus Afghanistan ist in der GU Klingenberg untergebracht. Er hat eine Abschiebung nach Polen angeordnet bekommen. Davor hat er große Angst, da er chronisch krank ist und regelmäßig Medikamente braucht, die er in Polen in den geschlossenen Camps zuvor nicht zuverlässig erhalten hatte. Sie sind gerade in Ihrem Büro, als Sie erfahren, dass die Polizei in der Unterkunft angekommen ist und Nawrooz zur Abschiebung abholen will. Was würden Sie tun?

Diskutiert wurden hierbei:

  • Notwendigkeit der Vorbereitung: Umfangreiches Wissen über Pflichten und Rechte der Betroffenen, der Fachkraft, Security, Einrichtungsleitung, Polizei notwendig > siehe hierzu besprochene Handreichung des Flüchtlingsrates Sachsen-Anhalt
  • Einrichtungsbezogene Konzeption zum Umgang mit Abschiebungen, genaue Absprachen zum Schutz der Mitarbeiter*innen wichtig > diese sollten nachdrücklich angeregt werden.
  • Verhinderung während laufender Abschiebung meist unmöglich, daher oft mehr Deeskalation der Abschiebung, Begleitung der betroffenen, Dokumentation der Abschiebung, Unterstützung beim Packen (Medikamente, Dokumente etc.)
  • Bei Hinweise auf Reiseunfähigkeit, Zweifel an Ausreisepflicht > Info zuständige Anwält*innen, Abschiebebeobachtungsstellen an Flughäfen, beteiligte Behörden > siehe Kontakte im Notfallkoffer

3.3. Abschiebehaft

Sie erhalten einen Anruf Ihres Klienten Khalil K. Er ist sehr aufgebracht und berichtet, dass er gerade von der Polizei abgeholt wurde und sich auf der hiesigen Polizeistation in Pirna befindet. Man erklärte ihm, er werde bald zu einem Gericht gebracht und müsse dann ins Abschiebegefängnis nach Dresden. Was würden Sie tun?

Dazu wurde die Arbeit der ehrenamtlich aktiven Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden vorgestellt. Die meisten Fachkräfte haben keinerlei Berührung mit Abschiebehaft. Entscheidend ist, dass ihr Mandat dort nicht enden muss und Klient*innen weiterhin unterstützt werden können. Weitere Infos finden sich unter: https://www.abschiebehaftkontaktgruppe.de/deutsch/infos-zum-download/

Außerdem kann die Abschiebehaftkontaktgruppe auch für Vorträge und Workshops angefragt werden.

Handlungsempfehlungen:

  • Präventiv: Aufklärung über Abschiebehaft und Präventionsmaßnahmen von bedrohten Klient*innen (in Sachsen v.a. Männer aus Tunesien, Georgien und Pakistan sowie Männer im Dublin-Verfahren)
  • Anwält*innen und Abschiebehaftkontaktgruppe kontaktieren, ggf. Zuarbeit mit Unterlagen, z.B. bei Zweifel an Reisefähigkeit oder Ausreisepflicht
  • Begleitung zum Gericht und Teilnahme an der Anhörung als sog. „Person des Vertrauens“
  • Information an Klient*in: ausdrücklich die Beiordnung eines Anwaltes fordern > muss dann das Gericht bezahlen.

4. Vernetzung

Wer weiter informiert bleiben und sich vernetzen will zum Umgang mit Abschiebungen im Kontext Sozialer Arbeit, kann sich in die Mailingliste von „Bring Back Our Neighbours“ eintragen lassen. Dazu bitte Mail mit Namen/Organisation an info@bringbackourneighbours.de.

Bring Back Our Neighbours organisiert Runde Tische gegen Abschiebungen, dort diskutierten haupt- und ehrenamtliche Personen aus Politik, Kirche, Vereinen und Initiativen, wie Betroffene unterstützt werden können und wie wir uns gemeinsam solidarisch gegen sie sächsische Abschiebepolitik einsetzen können. Über die Mailingliste wird auch der Link zum nächsten Runden Tisch versendet. Bring Back Our Neighbours kann außerdem für Workshops angefragt werden.

In der Landesarbeitsgemeinschaft Flüchtlingsssoziarbeit/Migrationssozialarbeit Sachsen gibt es eine Arbeitsgruppe zum Thema „Geflüchtetensozialarbeit gegen Abschiebungen“, bei Interesse an weiterem Austausch kann man sich bei den Sprecher*innen melden: sprecher_innen@lag-migration-sachsen.org.


5. Materialien und weiterführende Informationen

  • Neue Bleiberechtschancen seit 2023

https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/25a/Diakonie_Checkliste____25a_AufenthG_-_Aufenthaltsgewaehrung_bei_gut_integrierten_Jugendlichen_und_jungen_Volljaehrigen_Januar_2023.pdf

https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/25a/Diakonie_Checkliste____25b_AufenthG_-_Aufenthaltsgewaehrung_bei_nachhaltiger_Integration_Januar_2023.pdf

https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/25a/Diakonie_Checkliste_zum_Chancen-Aufenthaltsrecht_Januar_2023.pdf

Christina Riebesecker, Marianne Sand

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten und die Rolle der Geflüchtetensozialarbeit” (2022)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net


[1]  Leinenbach, Michael (2017): Kann Soziale Arbeit im Rahmen von Abschiebungen stattfinden? Ein Positionspapier des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit e.V. https://www.dbsh.de/media/dbsh-www/downloads/Kann_Soziale_Arbeit_im_Rahmen_von_Abschiebungen_stattfinden_3_2017.pdf.

[2]  Ebd.

[3]  Ebd.

[4]  Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. (2021): ABSCHIEBUNGEN AUS DER FLÜCHTLINGSUNTERKUNFT – Rechtlicher Rahmen und Handlungsmöglichkeiten für die Soziale Arbeit in Sachsen-Anhalt.

[5] Die Punkte a) bis e) sind teilweise im Wortlaut der o.g. Broschüre (S.22 – 27) entnommen


Quellenverzeichnis

Workshop 1-A des Fachtages „Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten“
Christina Riebesecker, Kontaktgruppe für Asyl und Abschiebehaft e.V., Initative BringBackOurNeighbours
Marianne Sand, Projekt Etablierung einer Landesfachstelle FSA/MSA in Sachsen

Fotos: Guillaume Robin / LaFaSt


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