Qualifizierung in der Sozialen Arbeit in den Bereichen Migration und Integration am Beispiel des Bundeslandes Brandenburg
von Anne Müller, Projektleitung FMI – Fachzentrum Migration Integration, ISA – Gesellschaft für Inklusion und Soziale Arbeit e.V.
Sozialarbeitende, die in den Bereichen Migration und Integration arbeiten, benötigen durch die hohe Komplexität des Arbeitsfeldes und der damit zu leistenden Aufgaben eine nachhaltige Qualifizierung. Denn gerade in schwierigen Situationen muss rasch und zuverlässig auf erlernte Kompetenzen zurückgegriffen werden. Auch die Möglichkeit, sich mit Kolleg*innen fachlich auszutauschen, sollte gewährleistet werden. Um die Professionalisierung des Arbeitsfeldes sicherzustellen, ist es deshalb unabdingbar, entsprechende Rahmenbedingungen mitzudenken und zu installieren (Abb. 1).
Abbildung 1 (Quelle: FMI):
Im Land Brandenburg wurde bereits 2018 ein Fachzentrum Migration Integration (FMI) geschaffen, welches als Schnittstelle zwischen den verschiedensten Akteur*innen wie Sozialarbeitenden, Verwaltung, Wissenschaft und Praxis fungiert. Das landesgeförderte Projekt stellt dabei kontinuierlich handlungspraktische Orientierungen durch zum Beispiel Fortbildungen, Fachaustausche und Arbeitshilfen zur Verfügung. Eines dieser Angebote war die Entwicklung einer modularen Weiterbildung für Quereinsteigende, worum es im Folgenden gehen wird (Abb. 2 und 3). Einen Überblick über das Portfolio des FMI finden Sie unter https://www.isa-brb.de/fmi.
Abbildung 2: (Quelle: FMI)
Abbildung 3 (Quelle: FMI):
Grundlagen der Sozialen Arbeit für Quereinsteiger*innen
In der Migrationssozialarbeit gibt es viele Quereinsteiger*innen. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz hätte Beträchtliches in den letzten Jahren nicht bewältigt werden können. Oder anders gesagt: Hätte Migrationssozialarbeit in vielen Fällen gar nicht stattfinden können. Trotz ihres großen Enthusiasmus, den man ohnehin für dieses Praxisfeld mitbringen muss, stoßen sie fachlich – insbesondere was die Methoden der Sozialen Arbeit betrifft – mindestens teilweise an ihre Grenzen. Eine fehlende Zertifizierung erschwert zusätzlich die Zukunftsperspektive – und dies in einem Arbeitsfeld, das sich schon durch eine relativ hohe Fluktuation auszeichnet.
Das FMI hat sich lange mit der Frage beschäftigt, wie diesbezüglich Unterstützung geleistet werden könnte. In Zusammenarbeit mit dem Paritätischen Bildungswerk LV Brandenburg e.V. wurde deshalb 2018 ein Curriculum für eine modulare Weiterbildung entwickelt, welches die
Grundlagen der Sozialen Arbeit vermitteln soll (Abb. 4). Die zertifizierte Weiterbildung umfasst einen Stundenanteil von insgesamt 224 Unterrichtseinheiten (plus 40 Stunden
Selbstlernanteil) und erfüllt bei erfolgreicher Teilnahme die Anforderungen für eine „Zustimmung der Ausnahme der Qualifikationsanforderungen“ in Brandenburg. Zusätzlich kann die Weiterbildung bei Besuch von migrationsspezifischen Seminaren des FMI (40 Unterrichtseinheiten) mit dem Zusatz „Schwerpunkt Migration“ abgeschlossen werden. Mittlerweile wird die neunmonatige Weiterbildung seit 2019 in Brandenburg angeboten. Durch die jahrelange Begleitung konnten sowohl positive, aber auch einige negative Aspekte beobachtet werden (Abb. 5).
Abbildung 4 (Quelle: FMI):
Abbildung 5 (Quelle: FMI):
Positive Aspekte
Die Weiterbildung trägt deutlich zur Professionalisierung des Arbeitsfeldes bei. Teilnehmende berichteten, bereits durch den Methodengewinn sicherer in ihrer Arbeitsweise zu werden. Methoden wie Casemanagement und Hilfe zur Selbsthilfe, Psychohygiene und das Wissen um Kultursensibilität sind nur einige Beispiele dafür. Dadurch wird auch die Entwicklung des Selbstverständnisses als Migrationssozialarbeiter*in oft erst angestoßen. Ein weiteres Plus stellt die Anerkennung der Qualifizierung durch das Land Brandenburg dar. Zuvor bedurfte es immer wieder Ausnahmegenehmigungen, wenn man nicht über den geforderten Abschluss der Sozialen Arbeit/Sozialpädagogik verfügte. Der Druck, welcher dadurch permanent auf den Quereinsteiger*innen lag, kann durch die Anerkennung genommen werden.
Negative Beobachtungen
Bei all diesen positiven Aspekten kommt man aber allerdings nicht umhin, auch die Schattenseite zu skizzieren. Eine Weiterbildung kostet monetäre und zeitliche Ressourcen. Im besten Fall übernimmt der Träger die Weiterbildungskosten, was leider nicht immer der Fall ist. Oft fehlt es an personellen Ressourcen im Arbeitsfeld. Wenn dann noch jemand mehrere Tage ausfällt, kann dies nicht in jedem Falle abgefangen werden oder führt zu Mehrbelastungen bei Kollegen*innen und damit zur mindestens temporären Verschlechterung des Arbeitsklimas. Teilnehmende berichteten außerdem davon, ihre Urlaubstage nehmen zu müssen, um sich an Präsenztagen qualifizieren zu dürfen. Dies ist wenig zielführend.
Auch die Digitalisierung der Weiterbildung bietet sowohl Vor- als auch Nachteile. Musste man vorher einen weiten Anfahrtsweg auf sich nehmen, wird einem dies nun erspart. Online-Teilnahme setzt aber auch entsprechende Technik voraus. Wichtig ist, auch an diesem Tag sollte man wirklich freigestellt sein. Wir haben hingegen erlebt, dass Teilnehmer*innen in ihrem Büro agieren und so weiterhin für Klient*innen ansprechbar sein müssen. Dies ist nicht Zweck der Weiterbildung. Arbeitgeber*innen müssten zwingend die Freistellung für diese Zeit gewährleisten. Aus sozialpsychologischer Sicht ist auch anzumerken, dass eine Online-Diskussion nur bedingt eine natürliche Gruppensituation ersetzen kann, weil sie viele Möglichkeiten gar nicht aufweist und bestimmte Interaktionen (etwa taktil, olfaktorisch, Ausweichen in eine Zweiersituation etc.) gar nicht möglich machen kann. Folgende Empfehlungen lassen sich also aus den Erfahrungen aus Brandenburg ableiten:
- Freistellung der Teilnehmer*innen während der Modularen Weiterbildung (inklusive Selbstlernteil)
- Finanzierung der Weiterbildung und Unterstützung durch geeignete Technik
- (rechtssichere) Anerkennung der Qualifizierung (auch Sichtbarkeit durch entsprechende Bezahlung)
- Bestenfalls Begleitung und Evaluierung durch zum Beispiel Hochschulen
An dieser Stelle sei gesagt, dass die modulare Weiterbildung natürlich kein Studium der Sozialen Arbeit ersetzt oder ersetzen soll. Sie trägt allerdings zur Professionalisierung des Feldes bei und ermöglicht rasche Einstiege und eine Art Grundgerüst für die Arbeit. Idealerweise könnten Möglichkeiten geschaffen werden, um sich die Module für ein späteres Studium anerkennen zu lassen.
Anne Müller
Dieser Artikel gehört zum Workshop 2-F des Fachtages “Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten und die Rolle der Geflüchtetensozialarbeit” (2022):
Professionalisierung der Geflüchtetensozialarbeit — (Modulare) Weiterbildungen für Quereinsteiger*innen/multiprofessionelle Teams
Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:
“Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten und die Rolle der Geflüchtetensozialarbeit” (2022)
Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net
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