Integrative Strukturen im Landkreis Zwickau

von Matthias Resche, Sachgebietsleiter SG Asyl, LK Zwickau


Im Landkreis Zwickau waren die hauptamtlichen Strukturen für die Integrationsarbeit lange nur unzureichend entwickelt. Der Ausländeranteil war in den ersten zwanzig Jahren nach der Wiedervereinigung sehr gering, erst seit dem vorangegangenen Jahrzehnt steigt dieser und die Themen Migration und Integration rücken zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Bis 2015 waren viele Akteure in der Integrationsarbeit nur ehrenamtlich tätig. Dem Ausbau hauptamtlicher Strukturen wird erst seit 2015 zunehmend eine höhere Bedeutung zugemessen. Dies trifft auch auf die Akteure in der Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit zu.

Es ist keine Übertreibung, wenn man deutlich macht, dass viel erreicht wurde. Viele Neuzugewanderte und schutzberechtigte Menschen haben große Schritte in ihrem individuellen Integrationsprozess gemeistert. Gleichzeitig entstanden viele hauptamtliche Angebote, so dass das ehrenamtliche Engagement sich wieder auf einen machbaren, einen leistbaren Umfang zurückziehen konnte. Man sollte in diesem Zusammenhang nie vergessen, dass es dem ehrenamtlichen Engagement zu verdanken war und zu verdanken ist, dass wir heute auf viele erfolgreiche Integrationsprozesse schauen können.

Also wo stehen wir? Wo liegen die aktuellen Herausforderungen? Bei aller Komplexität dieser Fragestellung mit Blick auf die Herausforderungen in der Flüchtlingssozialarbeit und der Integrationsarbeit im Allgemeinen lassen sich zwei kurze und dringliche Antworten geben: Ungelöst ist zum einen bis heute die Frage der Nachhaltigkeit der in den vergangenen Jahren aufgebauten Strukturen. Zudem wirken sich die Folgen der Corona-Pandemie besonders stark auf sozial schwache Bevölkerungsgruppen aus. Hierzu gehören überproportional viele Migranten. Dies gefährdet in der Folge die Integrationschance vieler Menschen.

Die Integration zugewanderter bzw. geflüchteter Menschen wird immer als Querschnittsaufgabe beschrieben. Es ist aber auch ein langfristiger Prozess, der oft generationsübergreifend verläuft. Es braucht daher eine Verstetigung der Strukturen, der Kooperationen und damit Verlässlichkeit. Nicht zuletzt ist die Integration von Menschen in eine Gesellschaft von zwischenmenschlichen Beziehungen abhängig. Hierbei bilden die hauptamtlichen Unterstützungsangebote in der Integrationsarbeit keine Ausnahme. Infolge der Pandemie und den daraus resultierenden Schwerpunktsetzungen in der Politik ist der Fortbestand vieler neu aufgebauter Strukturen in Gefahr. Natürlich haben auch viele zwischenmenschlichen Beziehungen infolge der Coronaschutzmaßnahmen gelitten und dies wirkt sich gesellschaftlich ebenso im Bereich der Integrationsarbeit aus.

Diese Herausforderungen müssen die Akteure in der Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit meistern. Im Landkreis Zwickau wird die Unterbringung von Asylbewerbern und Geduldeten ebenso wie die soziale Betreuung der Untergebrachten durch Träger der freien Wohlfahrtspflege und (karikativ tätige) Unternehmen sichergestellt. Dabei wird ein Betreuungsschlüssel von 2 zu 150 angewendet und die Träger müssen verschiedene vom Landkreis vorgegebene Konzeptionen und Standards realisieren.

Für etwa ein Drittel der Untergebrachten stehen Plätze in Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung. Etwa zwei Drittel der Personen leben in sogenannten Wohnprojekten, dies ist in der Regel eine weitestgehend dezentrale Unterbringungsform. Der Betrieb der Unterkünfte ist vertraglich mit den Betreibern geregelt. Zugleich bringen sich die Betreiber oft in regionale integrative Netzwerkstrukturen ein.

Die Kooperation setzt sich bei einigen Trägern der Asylunterbringung noch an andere Stelle mit dem Landkreis Zwickau fort. Es gibt derzeit insgesamt fünf gemeinschaftlich betriebene Integrationsberatungsstellen (kurz: IBS) als weiterführendes Angebot der Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit. Die IBS sind Anlaufstellen zum Thema Migration und Integration. In Person von jeweils einem Sozialarbeiter (Angestellte/r bei einem freien Träger oder einer Stadtverwaltung) und einem kommunalen Integrationskoordinator (kurz: KIK – Angestellte/r beim Landkreis Zwickau) gibt es in der Regel zwei hauptamtliche „Kümmerer“ vereint in einem Büro in den jeweiligen Städten. Die IBS sind von der Grundidee einem Stadtteilbüro oder Quartiersmanagement nicht unähnlich, jedoch gibt es hier keine territoriale Abgrenzung, sondern eine inhaltliche Schwerpunktsetzung.

Die IBS sind ein niederschwelliges Unterstützungs- und Beratungsangebot für schutzberechtigte Flüchtlinge, EU – Bürger und Drittstaatenangehörige mit Aufenthaltserlaubnis. Dieses Unterstützungsangebot macht die jeweilige Sozialarbeiterin bzw. der jeweilige Sozialarbeiter im Auftrag unserer Kooperationspartner. Die KIKs engagieren sich hingegen vorrangig auf institutionelle Ebene, für Verwaltung und Vereine, das Ehrenamt, für Bürger bei Anwohner- und Nachbarschaftsfragen sowie für Vertreter aus Wirtschaft und Politik. Die Koordinatoren setzen dabei ihre Aufgabenschwerpunkte in den Bereichen Strukturentwicklung und Netzwerkarbeit.

Isoliert auf das Thema der Flüchtlingssozialarbeit betrachtet, führen die IBS die Arbeit der Wohnheime und Projekte aus dem Bereich Asyl mit Blick auf schutzberechtigte Flüchtlinge weiter. Die Beratungsstellen haben dabei eine Komm – Struktur. Dabei liegt der Fokus nun aber auf der Unterstützung bei Alltagsfragen und in der Verweisberatung, gegebenenfalls beinhaltet die Unterstützung vor Ort natürlich aber auch Elemente der Sozial- und Migrationsberatung. Daher wird im Kontext der IBS vorrangig von Migrationssozialarbeit gesprochen. Ein wichtiger Bestandteil der Unterstützung ist die Kompetenzentwicklung auf Seiten der Beratenen. Gleichzeitig ist immer wieder festzustellen, dass insbesondere die erste Generation Neuzugewanderter auf eine langfristige Begleitung im Integrationsprozess angewiesen ist.

Die übergeordnete Zielstellung ist und bleibt dabei die migrationsgesellschaftliche bzw. interkulturelle Öffnung von Regel­angeboten. Dies umfasst somit auch die Kompetenzentwicklung auf Seiten von Institutionen, Wohlfahrtsverbänden, Verwaltung und Unternehmen, damit eine barrierefreie Teilhabe an Gesellschaft, Bildung und Einkommen für Migrantinnen und Migranten möglich wird.

Die IBS wurden im Jahr 2017 in Betrieb genommen. Das Angebot hat sich bewährt. Die Aufgaben der Kolleginnen und Kollegen in den Beratungsstellen haben sich im Laufe der vergangenen fünf Jahren inhaltlich verschoben, insbesondere gewinnt das Thema Integration in den Arbeitsmarkt immer mehr an Bedeutung. Auch der Zugang zu Bildung ist aufgrund der Pandemie aktuell für viele Menschen mit ausländischen Wurzeln zu einem großen Problem geworden und ist für die IBS Mitarbeiter bei ihrer Beratungstätigkeit eine große Herausforderung.

Das generelle Angebotsspektrum der IBS war aber von Anfang auch auf die aktuellen Schwerpunkte bereits ausgelegt, wobei die Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Form natürlich zu Beginn nicht absehbar waren. Hauptklientel sind unverändert schutzberechtigte Flüchtlinge. Zugleich wird ein Anreiz geschaffen, den ländlichen Raum stärker als potentiellen Wohnort für schutzberechtige Flüchtlinge und Migranten zu entwickeln.

Die größte Veränderung ist territorial zu verzeichnen. Während in den kleinen Städten im ländlichen Raum die Anzahl der Beratungsgespräche teilweise rückläufig ist, steigt der Zulauf in der IBS Zwickau und den IBS der mittelgroßen Städte weiter. Die Entwicklung des ländlichen Raums als attraktiver Wohnstandort für Migranten gelingt derzeit leider nur unzureichend, dies hat oft infrastrukturelle Gründe.

Die Kooperation zum Betrieb der sowie die Aufgabenverteilung in den IBS sind durch Kooperationsverträge fixiert. Die Umsetzung der fünf Beratungsstellen geschieht mit insgesamt vier verschiedenen Partnern. Zwei der Partner sind auch Akteure aus dem Bereich Unterbringung Asyl. Alle Projektpartner inklusive der Landkreis Zwickau engagieren sich auf freiwilliger Basis und mit Finanzierung durch Inanspruchnahme von Fördermitteln des Freistaates Sachsen. Darin begründet sind aber ebenfalls die Grenzen der Kooperation und der Koordination. Positiv ist aus unserer Sicht, dass wir derzeit ein flächendeckendes integratives und fachlich hochwertiges Angebot im Landkreis Zwickau machen können. Gleichzeitig können die vertraglichen Regelungen zwischen nur einen Bruchteil dessen abbilden, was die Integrations- und die Migrationsarbeit tatsächlich umfasst. Die langfristige Finanzierung der Integrationsarbeit ist weiterhin nicht sichergestellt.

Im Ergebnis dessen stehen die Wohlfahrtsverbände untereinander in Konkurrenz um Aufträge und Fördermittel. Dies schränkt die Bereitschaft zur Kooperation ein. Standards, soweit durch den Gesetzgeber oder per Auftrag nicht bestimmt, werden höchstens durch Landesarbeitsgemeinschaften erarbeitet. Deren konkrete Umsetzung ist freiwillig und fällt höchst unterschiedlich aus.

Es bedarf daher einer gesetzlichen Grundlage für die Integrationsarbeit, die Mindeststandards, Aufgabenträger und Finanzierung verbindlich und langfristig regelt. Die Hoffnung vieler Akteure liegt nun im derzeit laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetz, dass die erforderlichen Regelungen im Gesetz getroffen werden. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich die Integrations- und Flüchtlingssozialarbeit als generationenübergreifende Querschnittsaufgabe umsetzen und lösen. Gelingt dies, können zugewanderte Menschen zukünftig noch besser eine neue Heimat in Sachsen finden. Dies ist nicht zuletzt ein wichtiger Beitrag zum sozialen und gesellschaftlichen Frieden.


Matthias Resche

Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 4 des Fachtages “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021):

FSA in Stadt und Land – Regionale Modelle der Flüchtlings- und Migrationssozialarbeit

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net

Online-Fachtag “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung”
Matthias Resche, Sachgebietsleiter SG Asyl, LK Zwickau

Screenshots: LaFaSt


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