Zum Umgang mit mandatswidrigen Erwartungen an Sozialarbeiter*innen in der Arbeit mit Geflüchteten


In der Zuspitzung auf die Frage nach dem Umgang mit mandatswidrigen Erwartungen sollte das Dilemma aufgegriffen werden, in dem sich Flüchtlingssozialarbeiter*innen wiederfinden, wenn sie einerseits zum Wohle ihrer Klient*innen agieren (wollen), andererseits aber Aufträge der öffentlichen Träger zu erfüllen haben, die ihrer professionellen Haltung möglicherweise widersprechen.

Dies ist nicht nur relevant im Hinblick auf die Frage der evtl. von den Ämtern erwarteten Kontrollaufgaben oder bzgl. der – nicht zuletzt durch das geplante „Gesetz zur Förderung der Integration und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund im Freistaat Sachsen“ stärker in den Fokus rückenden – „Rückkehrberatung“. Generell sorgen die unterschiedlichen Handlungslogiken öffentlicher und freier Träger in Bezug auf die Aufgaben und Ziele der FSA immer wieder für Reibungspunkte.

Im Workshop wurden nach einem Input zu den abweichenden Handlungslogiken öffentlicher und freier Träger durch Bernhard Wagner (LaFaSt FSA/MSA) zunächst die unterschiedlichen Perspektiven auf Flüchtlingssozialarbeit herausgearbeitet, die sich

  1. auf Seiten der freien Träger als Menschenrechtsprofession versteht – was von Ruth Schilling in einem engagierten Plädoyer zur grundsätzlichen Haltung des Trägers zum Thema mandatswidriger Aufträge auf den Punkt gebracht wurde;
  2. aus der Perspektive der sog. „unteren Integrationsbehörden“ als Auftraggeber neben der Integrationsförderung auch für Kontroll- und Sanktionsaufgaben zuständig sieht – was von Matthias Resche in einem systematischen Überblick über Strukturen, Zuständigkeiten und „Erwartungen an die FSA aus Behördensicht“ am Beispiel des Landkreises Zwickau anschaulich dargestellt wurde.

Bevor in einer engagierten Diskussionsrunde mit zahlreichen Akteuren von freien wie auch von öffentlichen Trägern zunächst einige Beispiele einschlägiger Konflikte berichtet und schließlich nach Schnittmengen und Lösungsansätzen gefahndet wurde, zeichnete Bernhard Wagner in einigen einleitenden Thesen noch einmal die grundsätzlichen Dimensionen der latenten und manifesten Konfliktlinien nach.


These 1

Die Konfliktlinie zwischen öffentlichen Trägern (Ämtern und Behörden, also Verwaltung) und Sozialer Arbeit ist systemimmanent und damit unvermeidbar. Verwaltung und Soziale Arbeit funktionieren nicht nur mit unterschiedlichen Zielen, sondern auch nach unterschiedlichen Handlungslogiken und Prinzipien.

So lässt sich ein Großteil der in der wissenschaftlichen Begleitung der FSA manifest werdenden Konflikte letztlich auf die unterschiedlichen Perspektiven und Handlungszwänge von öffentlicher Verwaltung einerseits und freien Trägern bzw. Sozialarbeiter*innen andererseits zurückführen.

Für die Soziale Arbeit geht es hier um das alte Dilemma, das in der bekannten Metapher vom „doppelten Mandat“ (gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber auf der einen Seite und dem Klienten/der Klientin auf der anderen Seite – ergänzt um die Perspektive des dritten Mandats, das von der eigenen Fachlichkeit als Profession abgeleitet wird) seinen Ausdruck findet.

Demgegenüber steht die Perspektive der Verwaltung als Auftraggeber, die zuallererst die hoheitliche Durchsetzung von Aufgaben (und deren Finanzierbarkeit) im Blick hat.

Abb. 1: Die grundlegende Differenz der Handlungslogiken von Verwaltung und Sozialer Arbeit / Bernhard Wagner, Projektleitung LaFaSt

In Anlehnung an die systemtheoretische Terminologie wird den staatlichen Organisationen die Steuerungslogik „Hierarchie“ zugeordnet, mit dem Steuerungsmedium der „Macht“. Staatliche Verwaltung funktioniert demnach grundsätzlich innerhalb hierarchischer Strukturen und ist gehalten, ihr Handeln an der Durchsetzung staatlicher Machtansprüche auszurichten – was in heutigen neoliberalen Zeiten gepaart ist mit den Effizienzvorstellungen einer durchökonomisierten Gesellschaft und das heißt vor allem mit der Durchsetzung von Einsparungen in „nicht-produktiven“ Bereichen. Den Organisationen des sozialen Sektors kann dagegen die Steuerungslogik der „Kooperation“ bzw. „Sozialintegration“ zugewiesen werden, mit „Solidarität“ als Steuerungsmedium.


These 2

Staatliche Verwaltung ist gehalten, ihr Handeln an der Durchsetzung staatlicher Machtansprüche auszurichten. Kooperationsorgane funktionieren somit aus der Perspektive der öffentlichen Verwaltung am besten nach dem „top down“-Prinzip, nach dem sie sozusagen als Verwaltungsakt von oben initiiert werden.

Die Handlungslogik sozialer Organisationen steht dieser hierarchiebasierten Kommunikation der Ämter natürlich diametral entgegen. Sie funktioniert nach dem Prinzip: Intrinsisch motivierte Akteure sind vor Ort aktiv, investieren‘ Solidarität und vernetzen sich nach dem „bottom up“-Prinzip, also von unten nach oben.


These 3

Eine auf Durchsetzung von Regeln oder Interessen innerhalb hierarchischer Strukturen orientierte Organisation (wie das Sozialamt) agiert und kommuniziert also grundlegend anders als auf Solidarität und Sozialintegration bzw. Kooperation orientierte soziale Organisationen.

In der Praxis führt dieser Gegensatz zu Irritationen auf beiden Seiten. Die Kommunikation ist nicht auf egalitären Austausch gerichtet, wie es sich die Sozialarbeiter*innen aufgrund ihrer Eigenlogik wünschen, sondern auf Informationsweitergabe und Durchsetzung von „Macht“. Ein direktiver Kommunikationsstil steht hier einem egalitären gegenüber.

Folge: Das Amt ist verärgert und die Sozialarbeiter*innen sind enttäuscht…



Grundlage:
Mindestanforderungskatalog (15 Seiten, Vertragsbestandteil)


Sozialarbeiter

Qualifikation

  • abgeschlossenes, staatlich anerkanntes Hochschulstudium in den Fachrichtungen Sozialpädagogik, Sonderpädagogik, Heilpädagogik oder Soziale Arbeit oder einen gleichwertigen Abschluss

Aufgaben

  • Aufnahmegespräch nach Ankunft
  • Unterstützung zu sozialadäquatem Verhalten
  • Information über Rechte und Pflichten
  • Informationen zu Leistungsansprüchen und Mitwirkungspflichten
  • Unterstützung zu Alltagsfragen, bspw. Schriftverkehr
  • Unterstützung bei der Gesundheitsfürsorge
  • Verweisberatung zu relevanten Fachstellen
  • Hilfestellung in familiären Angelegenheiten
  • Beratung bei Umverteilungsanträgen
  • Auszugsmanagement (inkl. Wohnungssuche, SGB II Anträge)

Grundlage:
Mindestanforderungskatalog (15 Seiten, Vertragsbestandteil)


Sozialbetreuer

Qualifikation

  • abgeschlossene 3-jährige Ausbildung in einem sozialen Beruf oder eine mindestens 3-jährige praktische Erfahrung in der sozialen Beratung und/oder sozialen Betreuung

Aufgaben

  • Information zur Unterbringung und Betreuung in der Einrichtung
  • Hinweise zur Nutzung des ÖPNV
  • Aufklärung über Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und sportlicher Möglichkeiten
  • Hinweise zu Sprachkursangeboten
  • Unterstützung bei Suche von Arztterminen
  • Ansprechpartnerfunktion in der Einrichtung (Deeskalation)
  • Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen
  • Koordinierung Poststelle
  • Aufklärungsangebote zum Energiesparen

PowerPoint Präsentation, Matthias Resche

Vor diesem Hintergrund wurden in der ausführlichen Diskussion zahlreiche Beispiele eingebracht und erörtert, die sich als Interessenskonflikte zwischen freien (privaten) und öffentlichen Trägern in Bezug auf den Auftrag der FSA entlang der beschriebenen Konfliktlinie verorten lassen.

Dabei wurden v.a. die folgenden Fragen thematisiert:

  • Wo liegt das eigentliche Konfliktpotenzial im Verhältnis zwischen öffentlichem Auftraggeber und freien Trägern/Flüchtlingssozialarbeiter*innen? Wo liegen die wesentlichen Interessenkonflikte oder Gegensätze bzgl. der je eigenen Ziele?
  • Wie verträgt sich die Handlungslogik der „unteren Integrationsbehörden“ (Ämter) mit einer Flüchtlingssozialarbeit, die sich als Menschenrechtsprofession definiert und die „parteiisch“ für ihr Klientel agieren will?
  • Welche (potenziell) mandatswidrigen Erwartungen spielen in der Praxis eine Rolle?
  • Ist die Verweigerung eines Mandats von Seiten der Sozialen Arbeit überhaupt eine Option? Gibt es Erfahrungen mit Auftragsverweigerung durch FSA-Kräfte?
  • Wie wird der Umgang mit Kontrollaufgaben in der FSA in der Praxis bewältigt?
  • Wird die verpflichtende „Rückkehrberatung“ zu einem Konfliktherd zwischen Behörden und Flüchtlingssozialarbeiter*innen?
  • Wie lässt sich auf der Basis der unterschiedlichen Handlungslogiken eine konstruktive und produktive Kooperation zwischen Ämtern und FSA-Kräften erreichen? Wo liegen Schnittmengen möglicher gemeinsamer Interessen und Ziele?

Im Mittelpunkt stand dabei zunächst immer wieder die Übernahme von Kontrollaufgaben gegenüber den Klient*innen der FSA, die Sozialarbeiter*innen vor dem Hintergrund ihres Selbstverständnisses als Vertreter*innen einer Menschenrechtsprofession bzw. des Postulates der „Parteilichkeit“ sozialer Arbeit in Konfliktsituationen bringen.

Dabei kamen aber auch recht unterschiedliche – und damit auch unterschiedlich konfliktträchtige – Umgangsweisen von Seiten der öffentlichen Träger mit diesem Thema zum Ausdruck.

Abhängig von der jeweiligen Problemlage und der vorhandenen Kommunikationskultur auf beiden Seiten sollte es – so ein Fazit der Diskussion – in gewissem Grad möglich sein, diese grundlegende Differenz zwischen öffentlichen und freien Trägern zu überwinden. Dies erfordert allerdings ein Bewusstsein für die Grenzen, die dem je anderen aufgrund seiner Handlungslogik gegeben sind. Hierzu konnte die Diskussion im Forum 3 hoffentlich einen gewissen Anstoß geben.


LaFaSt

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels” (2023)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net

Forum 3 des Fachtages „Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels“
Forum 3 des Fachtages „Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels“
Ruth Schilling, Sozialarbeiterin, Regionalkoordinatorin Ausländerrat Dresden e.V.

Fotos: Guillaume Robin / LaFaSt


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