Weiterbildung in der Flüchtlingssozialarbeit – Zur Qualifizierung von multiprofessionellen Teams

von Alexander Melzer, Geschäftsführer Pandechaion – Herberge e.V.


Die stark gestiegenen Flüchtlingszahlen ab 2015 führten dazu, dass sehr viele Neu- und Quereinsteiger­Innen im Bereich der Flüchtlingssozialarbeit (FSA) tätig wurden. Der Bereich, der bereits zuvor durch relativ geringe Qualifikationsanforderungen und einen vergleichsweise niedrigen Anteil an staatlich anerkannten SozialarbeiterInnen geprägt war, steht nicht erst seitdem vor der Herausforderung, wie sozialarbeiterische Standards in multiprofessionellen Teams mit Leben gefüllt werden können.

Der Ruf nach mehr Weiterbildungsmöglichkeiten für FlüchtlingssozialarbeiterInnen wird daher immer wieder und zurecht laut. Er bedarf jedoch einer stärkeren Differenzierung und sollte insbesondere die Vielfalt der multiprofessionellen Teams in der FSA berücksichtigen und auch die Schaffung von weiterbildungsfreundlichen Rahmenbedingungen fordern. Eine Fokussierung auf die Defizite von nicht sozialarbeiterisch ausgebildeten QuereinsteigerInnen greift zu kurz. Es gilt die Bedarfe aller MitarbeiterInnen zu erfassen und ihnen systematisch zu begegnen.

Die Flüchtlingssozialarbeit erfordert aufgrund der Spezifika der KlientInnen und ihrer speziellen Lebenssituation neben sozialarbeiterischem Fachwissen eine Reihe weiterer Kenntnisse:

  • Psychologisches Fachwissen
  • Rechtliches Handlungswissen, insbesondere im Bereich des Aufenthalts- und Sozialleistungsrechts
  • Interkulturelle Kenntnisse und Kompetenzen
  • Fremdsprachenkenntnisse
  • Vertiefte Kenntnisse der Bezugswissenschaften
    (z.B. Soziologie, Arabistik, etc.)
  • Kompetenzen der Selbstorganisation

Die Anforderungen an die jeweiligen Kenntnisbereiche unterscheiden sich je nach konkretem Einsatz in der FSA, eine Stelle in der Erstaufnahmeeinrichtung hat ein anderes Anforderungsprofil als in der Migrationsberatungsstelle. Der spezifische Qualifikationsbedarf einer Stelle sollte aus mehreren Perspektiven betrachtet werden:

  • Im Rahmen einer systematischen Analyse durch
    • externe Fachkräfte (z.B. ehs Dresden)
    • die Leitungsebene
  • systematische Befragungen:
    • der StelleninhaberIn
    • von KollegInnen
  • relevanter Akteure (Flüchtlingsrat, Verwaltung, etc.)

Grafisch lässt sich das Ergebnis sehr gut im Rahmen eines Netzdiagramms verdeutlichen, so zeigt die folgende Abbildung beispielhaft das Anforderungsprofil einer Stelle im Rahmen eines psychosozialen Projekts für Flüchtlinge inklusive externer Verdolmetschung:

Alexander Melzer, Geschäftsführer Pandechaion – Herberge e.V.

Das Qualifizierungsprofil der jeweiligen Mitarbeiter­In lässt sich anhand verschiedener Analysemethoden bestimmen, z.B. durch:

  • Einschätzung durch Vorgesetzte
  • Selbsteinschätzung
  • Zertifikate etc.

Ein Abgleich des Stellen- mit dem Qualifizierungsprofils ergibt die konkrete Passung und mögliche Weiterbildungsbedarfe:

Alexander Melzer, Geschäftsführer Pandechaion – Herberge e.V.

Erweitert man die Perspektive und betrachtet nicht mehr das Anforderungsprofil einer einzelnen Stelle sondern ein gesamtes Team in der FSA, zeigt sich, dass breit aufgestellte multiprofessionelle Teams den vielfältigen Anforderungen unter Umständen sogar besser gewachsen sein können, da einzelne Defizite im Team ausgeglichen werden können:

Alexander Melzer, Geschäftsführer Pandechaion – Herberge e.V.

Es zeigt sich darüber hinaus, dass mögliche Weiterbildungsangebote in der FSA inhaltlich breit gefächert sein müssen, da die individuellen Qualifizierungsbedarfe alle Kenntnisbereiche der FSA umfassen können, nicht nur das speziell sozialarbeiterische Fachwissen. Zudem müssen die Rahmenbedingungen für berufsbegleitende Weiterbildungen stimmen, sowohl trägerseitig als auch von Seiten des Gesetzgebers.

Auf Seiten des Trägers sind insbesondere folgende Punkte für das Gelingen einer dauerhaften Qualifizierung entscheidend:

  • Systematische Analyse der Bedarfe
  • Selbstverständnis als lernende Organisation, die sich ständig weiter entwickelt
  • Ausreichend Zeit für die Weiterbildungen
  • Kultursensible Personalführung, die auf individuelle Lernbedürfnisse eingeht
  • Finanzierung der Weiterbildungen

Zusätzlich muss der Gesetzgeber günstige Rahmenbedingungen schaffen:

  • Das Angebot für modulare berufsbegleitende Weiterbildungen muss an einer Institution etabliert werden, sei es angedockt an eine Hochschule oder extern (wie in Brandenburg am FMI – Fachzentrum für Soziale Arbeit in den Bereichen Migration  und Integration, vgl. Beitrag von Frau Anne Müller).
  • Die Finanzierung der Weiterbildung muss im Rahmen der Ausschreibungen oder der Projektförderungen fest eingeplant und zugesichert werden.
  • Es muss eine rechtssichere Anerkennung der Weiterbildungen erfolgen.

Die mittelfristige Zielsetzung wäre ein modulares Weiterbildungsangebot, das berufsbegleitend studiert werden kann und auf einen anerkannten Abschluss hinführen sollte. Dies kann und soll nicht das reguläre Studium der Sozialen Arbeit ersetzen, aber QuereinsteigerInnen eine sichere Perspektive in der FSA bieten und gleichzeitig die wertvollen Kenntnisse, die diese Gruppe einbringt, für die KlientInnen verfügbar halten. Es soll auch gleichzeitig nicht den Gesetzgeber aus der Pflicht entlassen, ausreichend Studienplätze der Sozialen Arbeit zu finanzieren. Aber eine Abkehr von der Gleichung „mehr SozialarbeiterInnen = höhere Qualität in der FSA“ ist aus Sicht des Autors geboten, denn die Diversität von multiprofessionellen Teams ist unter den richtigen Bedingungen eher ein Vor- als ein Nachteil.


Alexander Melzer

Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 6 des Fachtages Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen (2020):

Weiterbildung in der FSA

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen” (2020)

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