Vorstellung des Antidiskriminierungsbüros Sachsen e.V.

von Maleen Täger, Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.


Einleitung

Das Menschenrecht auf wirksame Beschwerde[1] sieht vor, dass sich jeder Mensch bei einer entsprechenden Stelle über Menschenrechtsverletzungen beschweren kann. Für Geflüchtete ergibt sich dieser Bedarf im Besonderen aufgrund von restriktiven Strukturen der Asylpolitik und menschenunwürdiger Lebensbedingungen in Unterkünften. Wendet man die Feststellungen des UN-Ausschuss für die Umsetzung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hier an, kann dieses Menschenrecht erst dann als umgesetzt gelten, wenn eine Beschwerdestelle verfügbar und mit ausreichend Kapazitäten ausgestattet und niedrigschwellig zugänglich ist (wirtschaftlich, physisch, sprachlich, diskriminierungsfrei).[2]

Für die sächsische Unterbringungspraxis muss festgestellt werden, dass Geflüchteten dieses Menschenrecht bisher verwehrt wird. Es gibt nahezu keine Beschwerdestrukturen, und keine, die unabhängig sind.

Wir möchten uns über die Potenziale einrichtungsinterner vs. –externer Beschwerdestrukturen austauschen, über die Ansprechstellen, die bereits bestehen, und die notwendigen Charakteristika einer noch zu schaffenden Beschwerdestruktur für Geflüchtete in Sachsen.


Unabhängige Qualifizierte Antidiskriminierungsberatung in Sachsen

Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen (ADB) ist einer der größten Träger unabhängiger qualifizierter Antidiskriminierungsberatung (AD-Beratung) bundesweit. In Sachsen bestehen Büros an den Standorten Leipzig, Dresden und Chemnitz, an denen Beratung, Vernetzungs- und Bildungsarbeit stattfindet. Wir arbeiten nach dem horizontalen Ansatz: Alle Betroffenen von Diskriminierung können sich an uns wenden, unabhängig davon, in welcher Kategorie sie diskriminiert werden (z. B. Rassismus, Behinderung, sexuelle Orientierung, …). Unser vollständiges Diskriminierungsverständnis, das etwas weiter geht als beispielsweise das des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, ist online einsehbar.

AD-Beratung stellt ein qualifiziertes Unterstützungsangebot für Betroffene dar. Es geht um persönliche Einzelfallberatung im geschützten Rahmen, um Empowerment zur Durchsetzung von Rechten, konkrete Schritte zum Einfordern des Rechts auf Gleichbehandlung, und: Begleitung in Beschwerdeprozessen.
Betroffene von Rassismus stellen statistisch die größte Personengruppe dar, die unser Beratungsangebot in Anspruch nimmt (46 %).  Die Lebensbereiche, in denen sich die meisten uns gemeldeten Diskriminierungen abspielen, sind „Arbeit“ (88 %), „Wohnen“ (65 %) und „Behörden“ (61 %).[3] Darin abgebildet sind auch Fälle von Diskriminierung gegen Geflüchtete in sächsischen kommunalen und Landesaufnahmeeinrichtungen, die ebenfalls zu unserem Beratungsalltag gehören.


Beschwerdeprozesse im Rahmen von AD-Beratung

Fallbeispiel: Ein Mann in einer Unterkunft für Geflüchtete erfährt rassistische Diskriminierung durch eine Mitarbeiterin vor Ort. Darüber hinaus wird auf seine Bedarfe als chronisch kranke Person keine Rücksicht genommen, was zu einer lebensgefährlichen Akut-Situation für die betroffene Person führt.

Nach einem Erstkontakt mit dem ADB findet ein ausführliches Beratungsgespräch statt, bei dem unsere Standards der Klient*innenzentrierung und Parteilichkeit charakteristisch die Beratung gestalten. Es wird ein gemeinsamer Auftrag erarbeitet, der in den folgenden Monaten verfolgt wird: Die betroffene Person möchte Beschwerde führen, eine Einsicht bei der verantwortlichen Seite erreichen und nach Möglichkeit eine Entschuldigung erhalten, um nach der erlebten Herabwürdigung in einen Heilungsprozess eintreten zu können. Darüber hinaus möchte er, dass auf der strukturellen Ebene bekannt wird, wie seiner Erfahrung nach das bestehende Unterbringungssystem für Geflüchtete Diskriminierungen begünstigt und Betroffene nicht schützt.

Eines der häufigsten Instrumente der AD-Beratung ist der Beschwerdebrief, in dem die Betroffenensicht auf den diskriminierenden Vorfall und seine Folgen sortiert und fachlich unterstützt dargestellt, klare Forderungen an die verantwortliche Stelle formuliert und – wenn möglich – auf die rechtliche Grundlage hingewiesen wird, nach der Diskriminierung verboten ist. Darauf können weitere Schriftwechsel folgen, Vermittlungsgespräche oder beispielsweise fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit. Der Beschwerdeprozess folgt in der Regel der Logik aufsteigender Hierarchien: Wenn sich bei der initial diskriminierungsverantwortlichen Stelle, also z.B. dem Träger als Arbeitgeber der Mitarbeiterin, die sich rassistisch verhalten hat, kein hilfreiches Ergebnis erzielen lässt, wird sich an die nächst höhere Ebene, also z. B. das Land Sachsen als Auftraggeber des Trägers, gewandt usw.

Der „Erfolg“ eines solchen Beschwerdeprozesses hängt wesentlich (neben anderen Aspekten) auch davon ab, ob die diskriminierungsverantwortliche Stelle selbst über klare Strukturen verfügt, nach denen Beschwerden gehandhabt werden, und beauftragte Personen, die explizit ansprechbar für bestimmte Belange, z. B. Diskriminierungsvorwürfe, sind. In aller Regel ist beides nicht vorhanden, weshalb es fast standardmäßig zu unseren Forderungen gehört, klare Beschwerdestrukturen zu schaffen, niedrigschwellig zugänglich zu machen und klar zu kommunizieren, sodass sich Betroffene im Bedarfsfall auch ohne Hilfe einer außenstehenden Stelle vertrauensvoll mit ihrem Anliegen an die Verantwortlichen wenden können.


AD-Beratung als Interventionsmöglichkeit bei Beschwerden im Unterbringungskontext?

Im Falle von Unterbringungskontexten von Geflüchteten (und auch in anderen Bereichen) ist diese Forderung nur sehr begrenzt hilfreich, weil deutlich wird: Unternehmens- bzw. trägerinterne Beschwerdestrukturen können, realistisch betrachtet, kaum leisten, was eigentlich nötig wäre, um wirksam zu sein. Personen im Asylverfahren, die sich als abhängig und dem System ausgeliefert erleben, nur schwer unterscheiden können, wer zu einem freien Träger und wer zu einer Behörde gehört und an welchen Stellen ihre Beschwerde unter Umständen negative Konsequenzen betreffend ihres Asylverfahrens haben könnte, werden sich kaum an Beschwerdestellen wenden, die nicht explizit unabhängig von der betreffenden Unterbringungsstruktur arbeiten.

Antidiskriminierungsberatung kann in bestimmten Fällen eine solche unabhängige Stelle darstellen, die Beschwerdeprozesse begleitet und unterstützt. Sie kann aber qua ihres Auftrags nicht zuständig sein für alle Menschenrechtsverletzungen, die aus Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften teilweise berichtet werden. Sie ist zudem angewiesen auf einzelne Betroffene, die sich zutrauen, selbst in den Beschwerdeprozess einzutreten und diesen „durchzustreiten“. Die Interventionsmöglichkeiten von AD-Beratungsstrukturen ohne eine konkrete betroffene Person, die sich meldet und im Fall bleibt, sind sehr begrenzt.


Gebraucht wird eine unabhängige, mit Ressourcen und Kompetenzen ausgestattete Beschwerdestelle

Was es bräuchte, wäre eine Stelle, die mit genügend Ressourcen und der entsprechenden Expertise ausgestattet ist, sich sämtlichen Beschwerden und Mangelberichten aus Unterkünften widmen zu können. Sie muss fallübergreifend und unabhängig von Einzelpersonen mit den verantwortlichen Institutionen und Behörden in Kontakt treten können und mit Kompetenzen ausgestattet sein, um dort auch relevante Veränderungen auf Systemebene anstoßen zu können. Eine solche Stelle muss – ebenso wie allgemeine AD-Beratungsstellen – zwingend nicht-staatlich und unabhängig sein, denn staatliche Stellen sind in ihrem Mandat und ihren Handlungsmöglichkeiten zu begrenzt und zudem im Interessenskonflikt. Darüber hinaus werden staatliche Akteur*innen häufig selbst als diskriminierend oder als mit diskriminierenden Stellen verflochten wahrgenommen, insbesondere in diesem Kontext. Unterstützungsangebote müssen einen vertrauenswürdigen Rahmen bieten, den Betroffene wahrnehmen können, ohne Sorge um persönliche Konsequenzen zu haben. In konflikthaften Konstellationen ist eine parteiliche Unterstützung und Interessenvertretung durch die Supportstruktur nicht verhandelbar. Die bestehenden Machtasymmetrien müssen ausgeglichen werden. Ein niedrigschwelliger Zugang, also z. B. räumliche Nähe zur Unterbringung und die Verfügbarkeit von Sprachdolmetschung, ist notwendige Grundbedingung.

Maleen Täger

Dieser Artikel gehört zum Workshop 2-F des Fachtages “Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten und die Rolle der Geflüchtetensozialarbeit” (2022):

Beschwerdemanagement im Kontext sächsischer Unterbringungspraxen – zur (Nicht-)Umsetzung eines Menschenrechts?

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten und die Rolle der Geflüchtetensozialarbeit” (2022)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net


[1]  Art. 13 EMRK, Art. 2 Abs. 3. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Art. 17 GG der BRD.

[2] Empfehlung: Beitrag „Die Umsetzung des Menschenrechts auf wirksame Beschwerde für Geflüchtete (in Gemeinschaftsunterkünften)“ von Henrike Janssen & Katharina Ohletz in „Soziale Arbeit mit Geflüchteten“ (Hrsg. Nivedita Prasad).

[3]  Auswertungszeitraum 2017-2020 über alle Standorte, siehe: Aufbau von Antidiskriminierungsberatungsstrukturen in Sachsen – Abschlussbericht 2017-2020.

Workshop 2-D des Fachtages „Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten“
Maleen Täger, Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.

Fotos: Guillaume Robin / LaFaSt


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