Interdisziplinäre Fachgruppe Migrationsarbeit Görlitz

von Sabine Ridder, Interdisziplinäre Fachgruppe Migrationsarbeit Görlitz


1. Entstehung

Neben wahrgenommenen Problemen auf der strukturellen Ebene der Austauschmöglichkeiten bzw. der Ermöglichung von Zusammenarbeit oder Kooperation existierten zahlreiche inhaltliche Aspekte bzw. Entwicklungen, die aus der Sicht der FSA-Akteure innerhalb gemeinsamer träger- und landkreisübergreifender Netzwerkstrukturen bearbeitet werden müssten.

Auf inhaltlicher Ebene bestanden im Hinblick auf die in den Kommunen im Jahr 2018 vorzufindende Situation eine Reihe von Herausforderungen im Zusammenhang mit der Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen, die sich aus der Sicht der beteiligten Akteure – und bei deutlichen Unterschieden zwischen den Kommunen – wie folgt zusammenfassen lassen:

1.1. Stimmung in der Bevölkerung gegenüber Geflüchteten

Im Laufe des Jahres 2018 wurde weitgehend übereinstimmend von einer (teilweise „extremen“) Zunahme rassistischer Anfeindungen gegenüber geflüchteten Menschen berichtet, im günstigen Fall wurde wahrgenommen, dass sich aktive Unterstützung und offene Ablehnung Geflüchteter in etwa die Waage hielten. Die steigende Frustration in Folge solcher Ablehnung sei nicht nur bei hauptamtlichen Fachkräften, sondern auch bei den – ebenfalls von Anfeindungen betroffenen – ehrenamtlichen Helfer*innen und nicht zuletzt bei den geflüchteten Menschen selbst zu beobachten, was bei Letzteren zum zunehmenden Wunsch nach einem Verlassen des Landkreises führte.

1.2. Engagements auf verschiedenen Ebenen

Diese Frustrationen führten folgerichtig zu einem Nachlassen des Engagements für geflüchtete Menschen. Teilweise wurde hier ein deutliches Nachlassen der Motivation auch bei Hauptamtlichen beobachtet. Vor allem aber sei – übereinstimmend in allen Kommunen – schwindendes Engagement auf Seiten des „Ehrenamtes“ zu konstatieren. Dadurch schwinden auch die für eine Integrationsperspektive enorm bedeutsamen Gelegenheiten zu „Begegnungen zwischen Deutschen und Geflüchteten“. Schließlich wird konstatiert, auch die „Klient*innen haben keine Kraft mehr, an Angeboten für demokratische Beteiligung teilzunehmen“.

1.3. Lage der geflüchteten Menschen spitzt sich zu

Alles in allem wurde eine Zuspitzung der Lage der geflüchteten Menschen berichtet. Dies gelte in mehrerlei Hinsicht:

  • Bzgl. Aufenthaltsstatus: Durch den langen Verbleib in unsicherem Aufenthaltsstatus breite sich Frustration aus, wodurch sich sehr negative Potenziale unter Geflüchteten entwickelten.
  • Bzgl. psychischer/gesundheitlicher Situation: Im Zuge des Asylverfahrens käme es so zu einer Zunahme psychischer Erkrankungen der Geflüchteten.
  • Bzgl. Arbeitsmarktperspektiven: Ein „sehr drängendes Problem“ – und eine wesentliche Ursache für die oben genannten psychischen Problemlagen – stelle die „sehr schlechte“ Arbeitsmarktlage für Geflüchtete dar.
  • Bzgl. weiterer passförmiger Angebote: In mehrerlei Hinsicht fehlten spezifische Angebote für bestimmte Gruppen geflüchteter Menschen, so zum Beispiel
    • Kita-Plätze,
    • Angebote der Jugendarbeit für geflüchtete Jugendliche,
    • geschlechtsspezifische Angebote, da offene Angebote oftmals (fast) nur Männer erreichten.

1.4. Hinderliche Rahmenbedingungen durch Politik und Verwaltung

Schließlich wurden – wiederum mit deutlichen Unterschieden in den einzelnen Kommunen – mehrere Wirkungen administrativer Regelungen bzw. politischer Vorgaben thematisiert, die den Beratungs- und Integrationsbemühungen der FSA zuwiderlaufen:

  • FSA ist nicht für anerkannte Geflüchtete zuständig, hier fehlte die hauptamtliche Unterstützung an manchen Orten. Diese werde zum Teil noch durch das „Ehrenamt“ ausgeglichen, das sich hier „verantwortlich fühlt“ – mit den oben genannten Effekten hinsichtlich Überlastung.
  • Verwaltungsvorgänge seien teilweise sehr kompliziert (und intransparent), was eine gewisse „Ohnmacht“ auch bei hauptamtlichen Fachkräften erzeuge.
  • Durch die jährlich begrenzte Projektförderung sei eine langfristige Integrationsarbeit schwierig und die Entwicklung einer mittel- oder langfristigen Perspektive kaum leistbar.
  • Schließlich wird aus manchen Kommunen auch der Eindruck berichtet, Integration sei von „der Verwaltung“ teilweise nicht gewollt.

1.5. Qualität und Wahrnehmung der FSA durch Öffentlichkeit:

Ein weiterer Problemkreis, der über eine landkreisweite und trägerübergreifende Kooperation der Fachkräfte positiv beeinflusst werden könne, bezieht sich schließlich auf die

  • „qualitativ sehr heterogene“ Flüchtlingssozialarbeit konzeptionell sehr divergierender Träger (was Kooperationen erschwert) sowie auf
  • die „schlechte Öffentlichkeitsarbeit“, die dazu führe, dass „viele gute Angebote nicht bekannt sind“ bzw. dazu, dass FSA „in der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen“ werde, obwohl sie wichtiges Bindeglied für Integration sei.

2. Herausforderungen

In der täglichen Arbeit befinden sich die Akteur*innen immer wieder im Spannungsfeld zwischen den Menschen mit Migrationshintergrund und Auftraggeber*innen. Der ländliche Raum und die besondere politische Situation im Landkreis Görlitz machen Integrationsarbeit nicht leicht. Ebenso empfinden die Mitglieder des Fachkreises die Rahmenbedingungen durch die Verwaltung oft hinderlich.

2.1 Selbstverständnis und Ziele

Die Fachgruppe versteht sich als einen Zusammenschluss verschiedener Akteur*innen im Landkreis Görlitz, deren Bestreben es ist, die Qualität der professionellen Arbeit mit Migrant*innen langfristig zu verbessern. Dabei nimmt die Fachgruppe eine Brücken- und Mittlerfunktion ein, um die Perspektiven von Migranten und Migrantinnen im Landkreis sichtbar zu machen. Schon in der Gründungsphase wurden gemeinsame Ziele formuliert:

  • Eine offene, integrationswillige Gesamtbevölkerung.
  • Die Verbesserung der öffentlichen Meinung und Situation zum Thema Migration / Integration.
  • Eine Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders und die Verstetigung einer Kultur des Ankommens und Teilhabens.
  • Die Stärkung der Partizipationsmöglichkeiten von Migranten und Migrantinnen im Landkreis.
  • Die Sichtbarmachung von strukturellen Einschränkungen und Diskriminierungen.

Es wird ein wechselnder Fokus auf verschiedene Migrant*innengruppen und Themen gelegt. Dabei möchte die Fachgruppe Einfluss auf politisches- und Verwaltungshandeln nehmen und damit die Möglichkeit eröffnen, Migration als Chance zu sehen.

Mitglieder der interdisziplinären Fachgruppe FSA/MSA im Landkreis Görlitz sind Vertreter*innen:

  • der Arbeitsmarktmentor*innen des Landkreis Görlitz
  • des Augen auf e.V. Oberlausitz
  • des Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal
  • des Jugendring Oberlausitz e.V.
  • des Mehrgenerationenhaus Diakonie St. Martin
  • des Sachgebiets Integration des Landkreis Görlitz
  • der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) des DRK Löbau
  • der „Wissenschaftlichen Begleitung der FSA in Sachsen“ der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden

2.2. Unterstützung durch Netzwerkarbeit

Zunächst sollte mit dem angezielten Netzwerk eine Plattform entstehen, die den professionellen – aber durchaus auch „ehrenamtlichen“ – Akteur*innen im Kontext von Flucht und Migration im Landkreis Görlitz den Freiraum eröffnet, entlastet vom Handlungsdruck des unmittelbaren Alltagsgeschäftes in einen offenen und „freien“ Dialog zu treten.

Die professionellen FSA-Akteure verstehen sich als „Mittler für die Perspektiven von Migranten“, agieren gegen deren „Marginalisierung“ und im Sinne der „Stärkung der Partizipationsmöglichkeiten von Migranten und der Sichtbarmachung von strukturellen Einschränkungen“.

Die Fachgruppe bietet den Akteur*innen eine wertschätzende, offene Arbeitsgrundlage. Der Integrationsprozess von Menschen mit Migrationshintergrund kann dadurch wirkungsvoll unterstützt werden.

2.3. Beispiele für die Arbeit

In den letzten zwei Jahren führte die Fachgruppe Dialog-Gespräche mit verschiedenen Vertreter*innen, welche für eine gelingende Integration der Migrant*innen im Landkreis als wichtige Partner*innen verstanden werden. So wurde das Sachgebiet Integration des Landratsamtes eingeladen, Ebenso kam die Fachgruppe mit Vertreter*innen der Wirtschaft (Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, Kreishandwerkerschaft Görlitz, Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen e.V.) und im Landkreis agierender Vereine (Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.) ins Gespräch.

Ziele der Dialog-Gespräche waren neben einem Austausch, Informationen zu sammeln, Erfahrungen in der bisherigen Arbeit zu diskutieren und Kooperationen zu ermöglichen.


3. Fazit

Positiv kann als Ergebnis der Dialog-Gespräche festgehalten werden, dass im Landkreis ein breites Angebot an Initiativen, Projekten, Vorhaben, rechtlich und finanziell geförderte Maßnahmen (Bund / Land / Kommunen) geschaffen wurde. Alle Gesprächspartner*innen waren an einem ehrlichen Austausch und an längerfristiger Zusammenarbeit interessiert. Dagegen zeigen die rechtlichen Rahmenbedingungen einerseits und die humanitären und sozialen Erfordernisse/Möglichkeiten der FSA/MSA andererseits wo derzeit Grenzen im Landkreis verlaufen.

Die Fülle an Initiativen, Maßnahmen und Projekten der FSA/MSA sind in der Breite unzureichend vernetzt. Der ländliche Raum wird strukturell vernachlässigt. Lösungsansätze für eine gelingende Integration sind überwiegend partiell und nicht komplex angelegt. Es braucht für eine gute Arbeit Transparenz über mögliche Angebote um diese gezielt anbieten und umsetzen zu können. Für die Integration der Migrant*innen braucht es nahtlose Übergänge in den Bereichen Ankommen, Sprachliche Förderung, berufliche Bildung und Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Zusammenarbeit von Ausländerbehörde, Agentur für Arbeit und Jobcenter ist im Sinne der Integrationsleistungen nicht ausreichend entwickelt und muss als nächster Schritt ausgebaut werden.


Sabine Ridder

Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 2 des Fachtages “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021):

Vernetzung und Kooperation jenseits der Regelstrukturen

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net

Online-Fachtag “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung”

Illustration: Sabine Ridder


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