Der Kinder- und Familientreff Puzzle, Omse e.V.

von Sarah Schulz, Pädagogische Mitarbeiterin im Kinder- & Familientreff Puzzle, Dresden


1. Das Wohngebiet

Der Kinder- und Familientreff Puzzle des Omse e.V. liegt im Bereich der Sanddornstraße / Harthaer Straße in Dresden Gorbitz. Die Häuser in diesem Gebiet sind unsanierte, fünfstöckige Plattenbauten, die Ende der 80er Jahre erbaut wurden und günstige Mietpreise bieten. Viele Menschen im Wohngebiet treffen bei ihrer Alltagsbewältigung auf multiple Herausforderungen, wie bspw. dem Angewiesen sein auf ALG II, Armut, Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen und der Bedarf an HzE. In den letzten zehn Jahren hat sich das Wohngebiet stark verändert, da der sog. Ausländeranteil von unter 5% im Jahr 2010 auf nun 53% (2020) gestiegen ist. Diese neue Diversität der Bewohner*innen, die seit 2015 durch die Zuweisung von Asylsuchenden in dezentrale Unterbringung und ganz aktuell durch den Zuzug vieler Familien aus Osteuropa entstand, ist für viele eine völlig neue Situation.

Generell ist das Lebensgefühl in unserem Einzugsgebiet eher dörflich geprägt. Das Einkaufszentrum Dresden.Das Karree fungiert wie ein Marktplatz als Treffpunkt aller Generationen. Dieser enge soziale Kontakt der Menschen und eine große Hilfsbereitschaft untereinander sind wichtige Ressourcen. Dennoch sind die Beziehungsnetzwerke häufig fragil. Wir als Kinder- und Familientreff Puzzle nutzen unser direktes Vorort sein, um stabile Beziehungen zu den Menschen aufzubauen und auf die jeweiligen Situationen und Bedarfe der Familien zugeschnittene Unterstützungsangebote zu entwickeln.


2. Der Kinder- und Familientreff Puzzle

Der Familientreff befindet sich in den Räumlichkeiten des genannten Dresden.Karrees. Er wird von verschiedenen Personengruppen genutzt. Einige suchen v.a. den Austausch, das gemütliche Miteinander oder Input, wie sie ihr Freizeit- und Familienleben gestalten können. Andere nutzen v.a. unsere Beratungsangebote – zahlenmäßig überwiegen hier Nutzer*innen, die neu in Deutschland sind und Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen und Formularen brauchen, bzw. einen KiTa- , Schulplatz oder Sprachkurs suchen. Insgesamt nutzen Neu- und Altdresdner*innen unsere Angebote (Krabbelgruppe, Familiencafé, Länderabende, Familienausflüge, Elternfrühstück, Familienfahrt, Repaircafé, Themenabende zu gewünschten Themen, Frauenabende, Kulturabende mit Musik etc., Feste, Fahrradkurse, Volleyball etc.) gleichermaßen. Viele Menschen kommen auch zu uns, weil sie ehrenamtlich aktiv sein wollen um Sinnvolles zu tun und der Einsamkeit zu entkommen, indem sie z.B. anderen beim Ausfüllen von Ämterformularen helfen, den Gemeinschaftsdachgarten pflegen oder gemeinsame Essen vorbereiten.

Viele unserer erwachsenen Nutzer*innen haben keine Arbeitsstelle, sind aufgrund von Erkrankungen  arbeitsunfähig oder arbeiten in prekären Anstellungen. Bei vielen Familien mit Migrationshintergrund liegt der Fokus momentan noch auf dem Erlernen der deutschen Sprache. Viele Familien ohne Migrationshintergrund sind alleinerziehend, die meisten von ihnen haben selbst Gewalt, Drogenkonsum, Alkoholmissbrauch der Eltern in ihrer Kindheit erlebt. Trotz aller Erschwernisse wollen die Eltern ihren Kindern Liebe geben und ein gelingendes Leben ermöglichen. Dabei wollen wir sie unterstützen.

Der Kindertreff befindet sich in einer Dreiraumwohnung eines Vonovia-Wohnblocks in der Sanddornstraße 1. Vor Beginn der Corona-Pandemie besuchten täglich ca. 20 Kinder den Treff. Momentan ist die Zahl auf zehn Kinder im Treff beschränkt. Die meisten Kinder sind zwischen sechs und zehn Jahre alt. Ca. die Hälfte der Kinder hat einen Migrationshinter- oder -vordergrund, etwa 75% der Kinder leben in Familien, die ALG II beziehen, Mädchen und Jungen sind zu gleichen Teilen vertreten und nehmen gleichermaßen an unseren Angeboten (Kreatives Gestalten, Kochen, Backen, Toben, Essen, Sport und Ausflügen) teil.

Unsere Materialien sind in den verschiedenen Sprachen, die die Kinder sprechen, vorhanden; vieles ist mit Piktogrammen bezeichnet.


3. Das Team

Ein zentraler Punkt unserer Arbeit ist es, Beziehungen zu den Familien im Wohngebiet aufzubauen. Dazu ist es wichtig, vor Ort zu sein, sich Zeit zu nehmen für Gespräche und die Menschen verstehen zu können. Deshalb setzen wir auf ein Team, das verschiedene Sprachen spricht. Neben deutsch und englisch können wir auch arabisch, russisch, polnisch und slowakisch sprechende Menschen verstehen. Ein diverses Team aufzustellen ist nicht einfach, da generell kein Überangebot an Sozialarbeiter*innen herrscht und kompetente Menschen, die ein anderes Herkunftsland haben, selten über die hier staatlich geforderten und anerkannten Abschlüsse verfügen. Für uns hat es dennoch eine große Priorität, weil wir beobachten, wie zentral bspw. unsere arabischsprachige Kollegin ist, um den lebendigen Kontakt in diese Community aufrecht zu erhalten.

Wir wünschen uns, dass diese Sprachkompetenzen bei Einstellungsverfahren auch in anderen Institutionen höher gewertet werden.


4. Unsere Grundsätze

Zu unseren grundlegenden pädagogischen Werten (Wertschätzung der Person, Verstehender Zugang, Authentizität, Partizipation, Ressourcenorientierung, Geschlechtsorientierte Arbeit, Gemeinwesenarbeit und Prozessorientierung) sind infolge einer Aktionsforschung mit der ehs und Prof. Dr. Marcus Hußmann noch fünf Arbeitsprinzipien gekommen, nach denen wir unsere Arbeit nun ausrichten:

1. Sei nah und erreichbar

  • Wir schicken niemanden einfach weg, sondern schauen, auch wenn die Zeit mal knapp ist, Probleme gemeinsam an und finden einen Zeitpunkt um sie zu bearbeiten.
  • Die räumliche Nähe zu den Familien ist gegeben (Zitat einer Nutzerin: „Ich komm’ dann einfach mal rüber gelaufen“).
  • Dabei ist es für die Mitarbeiter*innen notwendig, auf ihre eigenen Grenzen und Ruhezeiten zu achten.

2. Organisiere Begegnung und Unterstützung für alle Lebenslagen

  • Wir sind ein „Treff im Kiez“, man kann bei uns einfach Kaffee trinken, aber auch Erziehungsfragen stellen, Jobcenteranträge ausfüllen, Freizeitgestaltung erproben, ehrenamtlich aktiv sein uvm.

3. Entwickle ein freies und vielfältiges Profil

  • Alle unsere Angebote sind freiwillig. Jede*r kann kommen und es ist jederzeit möglich zu gehen.
  • Die Nutzer*innen bestimmen, wie unsere Angebote ausgestaltet werden. Im Kindertreff wird das Wochenprogramm in einem Kinderrat durch die Kindern festgelegt. Die Erwachsenen bringen ihre Bedarfe und Wünsche ein, bevor das Familientreffprogramm für die nächsten Monate erstellt wird.

4. Sei allseitig wirksam und verweise mit Bedacht

  • Bevor wir Menschen an andere Institutionen verweisen, klären wir, ob Termine in einer geeigneten Zeitspanne verfügbar sind und ggf. die Sprachbarriere überwunden werden kann.

5. Sei kundig und im Quartier engagiert

  • Durch die vielfältigen Themen unserer Nutzer*innen ist es notwendig, dass wir uns fortwährend vielfältiges Wissen in unterschiedlichen Bereichen aneignen.
  • In verschiedenen Gremien bringen wir die Themen und Bedarfe unserer Nutzer*innen ein.

Zudem versuchen wir aktuell auch Erkenntnisse aus der Migrationspädagogik zu nutzen, um wegzukommen davon Menschen zu „Anderen“ zu machen und hin zu Selbstreflexion zu finden, um Rassismen, Vorurteile und unbewusste Hürden sowie gesellschaftliche Machtstrukturen zu erkennen und diese in unserer Arbeit zu vermeiden.


5. Zusammenfassung

Zusammenfassend scheint es uns wichtig, vor Ort sein und die Menschen da zu erreichen, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben, auch wenn das z.B. im Kindertreff bedeutet, dass es manchmal ganz schön eng wird. Außerdem ist es zentral, keine starren Zeiten durchzusetzen, sondern flexibel zu bleiben und immer ein offenes Ohr für dringende Probleme zu haben. Statt auf Distanz setzen wir auf ein Miteinander auf Augenhöhe. Auch ein diverses Team ist unabdingbar, um gute Beziehungen zu verschiedenen Communities aufzubauen.


Sarah Schulz

Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 3 des Fachtages “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021):

Wo bleiben die geflüchteten Menschen – Angebote sozialräumlicher Integration

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung” (2021)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net

Online-Fachtag “Vom Ankommen und Bleiben – Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen zwischen Innovation und Verstetigung”
Sarah Schulz, Pädagogische Mitarbeiterin im Kinder- & Familientreff Puzzle, Dresden

Screenshots: LaFaSt


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