Widerständigkeit und Geflüchtetensozialarbeit — eine interaktive Auseinandersetzung mit Konflikten eines widersprüchlichen Handlungsfeldes

von Maximilian Roth, Sozialarbeiter und Masterstudent, Mitglied des Arbeitskreises Kritische Soziale Arbeit Berlin


Ohnmacht, Sprachlosigkeit, Überforderung? Zustände, in denen sich Sozialarbeitende in der Praxis häufig wiederfinden und mit denen sie einen Umgang finden müssen, um handlungsfähig zu bleiben. Solche Zustände können als Zeichen von widersprüchlichen Anforderungen gedeutet werden, die an die Sozialarbeitenden herangetragen werden.

Das Erkennen, Analysieren und Reflektieren von Widersprüchen ist daher zentral, um nicht vor den Anforderungen zu resignieren, sondern um eine widerständige Praxis zu entwickeln, die das Soziale verändern kann.


Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Berlin (AKS Berlin) wurde von der Evangelischen Hochschule Dresden dazu eingeladen, anlässlich der Fachtagung zu «Soziale Ausschliessung, Widerständigkeiten und die Rolle der Geflüchtetensozialarbeit» einen Workshop zu dem vom AKS Berlin erstellten Handlungsleitfaden «Leitfaden für Auflehnung und Widerstand in der Sozialen Arbeit[1]» zu halten.

Zu Beginn des Workshops fand ein gemeinsamer Austausch über das Verständnis von kritischer Sozialer Arbeit statt. So wurde über die Individualisierung von Problemlagen bei Klient:innen der Sozialen Arbeit, aber auch bei den Sozialarbeitenden selbst gesprochen. Hier wurde betont, dass eine kritische Soziale Arbeit versuchen muss, die Zusammenhänge zu erkennen, die dazu führen, dass Probleme entstehen. Erst eine multiperspektivische Berücksichtigung der Probleme kann dazu führen, dass nicht nur die Symptome der Probleme in der Praxis angegangen werden, sondern auch die Ursachen selbst. Die Geflüchtetensozialarbeit muss daher reflektieren, wie die Ebenen Gesellschaft, Organisation, Klient:innen und Sozialarbeitende zusammenhängen und sich wechselseitig beeinflussen.

Nach dem gemeinsamen Austausch fand in Kleingruppen eine Auseinandersetzung mit dem Handlungsleitfaden statt. Schnell fanden Gespräche zu herausfordernden Situationen in der Praxis statt, die mithilfe des Leitfadens reflektiert wurden. Die Teilnehmenden konnten die gemachten Erfahrungen thematisieren und in Gruppen diskutieren. Auffallend dabei war, dass, obwohl ganz unterschiedliche Erfahrungen von den Teilnehmenden in der Geflüchtetensozialarbeit gemacht wurden, eine Homogenität der Gefühlslagen bestand. So berichteten viele Teilnehmende, dass sie in der Praxis häufig ein Gefühl von Ohnmacht haben und überfordert sind. Begründet wurde dies dadurch, dass in der Praxis zu wenig Ressourcen, sei dies Zeit, Personen oder ökonomische Mittel, zur Verfügung stehen, um Probleme adäquat anzugehen. Einige Teilnehmende des Workshops äusserten diesbezüglich den Bedarf, die Möglichkeit zu haben, Probleme, von denen ihre Klient:innen betroffen sind, juristisch abzuklären. Weiter wurde anhand des Handlungsleitfadens thematisiert, wie Praktiker:innen Macht akkumulieren können, damit sie strukturelle Änderungen vornehmen können, was umgekehrt auch zu einer anderen Praxis führen würde.

Abschliessend fand in der grossen Runde eine Reflexion über die Erfahrungen dieses Workshops statt. Wie absehbar, konnte durch den zeitlichen Rahmen des Workshops der Handlungsleitfaden nicht vollumfänglich durchgegangen werden, was auch nicht zielführend gewesen wäre. Die Teilnehmenden zeigten im Workshop das grosse Bedürfnis, sich über Erfahrungen und Gefühlslagen, von denen sie in ihrer alltäglichen Praxis betroffen sind, auszutauschen. Der Handlungsleitfaden wurde von ihnen als geeignetes Werkzeug betrachtet, um sich kritisch mit praktischen Problemlagen auseinanderzusetzen, gemeinsame Reflexionen zu führen und um daraus auf neue Handlungsmöglichkeiten zu kommen, die der Bearbeitung komplexer Probleme in der Geflüchtetensozialarbeit gerecht werden. Überforderung und Ohnmacht bei Sozialarbeitenden in der Praxis können als Symptom von Problemen angesehen werden, die nicht individuell beim alltäglichen Handeln gelöst werden können. Die Notwendigkeit wurde ersichtlich, Probleme auf verschiedenen Ebenen anzugehen. Damit Sozialarbeitende jedoch auch auf verschiedenen Ebenen wirken können, benötigen sie Möglichkeiten der Reflexion, des gemeinsamen Austauschs und vor allem der Vernetzung. Der Appell des Handlungsleitfadens zeigt somit seine Aktualität: «Vernetzt euch, organisiert Euch und findet Antworten auf die Widersprüche und Fragen, die die Praxis stellt!».

Maximilian Roth

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten und die Rolle der Geflüchtetensozialarbeit” (2022)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net


[1] Der Leitfaden ist auf der Website des AKS Berlin abrufbar (https://aksberlinorg.files.wordpress.com/2021/02/handlungsleitfaden_aksberlin.pdf).

Workshop 2-E des Fachtages „Soziale Ausschließung, Widerständigkeiten“
Maximilian Roth, Sozialarbeiter und Masterstudent, Mitglied des Arbeitskreises Kritische Soziale Arbeit Berlin

Fotos: Guillaume Robin / LaFaSt


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