Gemeinsam lernen und sich auf Augenhöhe begegnen durch KAMA
Kurse von Asylsuchenden, Migrant*innen und Asylberechtigten
von Mirjam Christ, Projektkoordinatorin bei KAMA Dresden e.V.
Um Kontakt zwischen Menschen, die gerade neu an einem Ort angekommen sind, und Personen, die schon länger dort leben, herzustellen, bedarf es entsprechender Angebote. Viele Stadtteilinitiativen, die sich der Begleitung von Geflüchteten widmen und sich um deren Aufnahme in die Nachbarschaft bemühen, haben hierfür offene Cafés oder Treffpunkte eingeführt. Durch diese besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass sich Menschen mit und ohne Migrationshintergrund begegnen. Allerdings fällt es einigen Menschen schwer, mit anderen in Kontakt zu treten und ein Gespräch mit einer zunächst fremden Person zu beginnen. Für viele Menschen ist es einfacher über gemeinsames Tun oder beiderseitige Interessen mit anderen in Kontakt zu kommen. Diesen Ansatz verfolgen wir bei KAMA Dresden e.V., indem wir Kurse organisieren, die von Menschen mit Migrationshintergrund gestaltet und geleitet werden. Im Folgenden möchten wir unser Begegnungskonzept vorstellen, welches interkulturellen Austausch auf Augenhöhe ermöglichen soll, von den Erfahrungen der Kursleiter*innen und der Teilnehmenden berichten und damit letztlich dazu ermutigen diesen Ansatz auszuprobieren und in die Flüchtlingssozialarbeit zu integrieren.
Wie sieht das gemeinsame Lernen aus?
Im Zentrum des Konzepts stehen Kurse, die inhaltlich von Menschen mit Fluchterfahrung oder Migrant*innen entsprechend ihrer Themenwahl und Fähigkeiten gestaltet und von allen Menschen, die Interesse an dem Thema haben, besucht werden können. Bei der Planung werden die Kursleitenden von Ehrenamtlichen, sogenannten Kurspat*innen, unterstützt. Diese übernehmen die Raumsuche, die Bewerbung des Kurses und nehmen auch am Kurs teil. Im Hintergrund steht bei KAMA der Verein, der im Prozess allen Beteiligten beratend zur Seite steht.
Die Kurse lassen sich wie folgt charakterisieren:
- Migrant*innen als Kursleitende:
Die Workshops werden geleitet von Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung. - Themenwahl entsprechend dem Interesse der Kursleitenden:
Tanz und Bewegung, Handwerk, künstlerische und musische Angebote, Kochworkshops oder Kulturvorträge und Sprachkurse sind hier nur beispielhafte Themenfelder. - Kleine Kursgruppen:
Die Begrenzung auf maximal zehn Kursteilnehmende ermöglicht eine intensive Begegnung im interkulturellen Raum. - Ort und Dauer:
Jene werden durch nachbarschaftliche Nähe und zeitliche Ressourcen des*der Kursleitenden bestimmt. - Teilnahme auf Spendenbasis:
Zur Ermöglichung der Teilnahme von allen Menschen unabhängig von ihrer finanziellen Situation. - Unterstützung durch Kurspat*innen:
Die Kursleitenden werden jeweils durch eine*n Kurspat*in vorher bei der Planung, Organisation und Bewerbung sowie während des Kurses unterstützt.
Was ist bei den Kursen zu beachten?
Kursleitende und Ideenfindung für den Kurs
Die Kursleitenden müssen keine professionellen Kenntnisse mitbringen. Wichtiger sind persönliche Interessen und Stärken. Im Wesentlichen steht die erfüllende gestalterische Erfahrung im Fokus, die Wahrnehmung der eigenen Stärken sowie das Zustandekommen eines interkulturellen Dialoges. Zentral ist somit ein konsequenter Empowerment-Gedanke.
Es muss also nur eine Person gefunden werden, die offen dafür ist, selbst einen Kurs anzubieten. Eine Idee für den Kurs findet sich häufig recht schnell im Prozess, wenn gemeinsam überlegt wird, was den*die Kursleitende*n interessiert, welche Hobbies er*sie hat, welche Erfahrungen er*sie bereits sammeln konnte oder natürlich auch über berufliche Expertisen.
Den Kursleitenden kann auch eine Aufwandsentschädigung angeboten werden. Je nach Aufenthaltsstatus gibt es für diese verschiedene Möglichkeiten, wie z.B. die Ehrenamts- oder Übungsleiterpauschale in Anspruch zu nehmen. Dies stellt zwar keine dem Aufwand und der Energie, welche die Kursleitenden investieren, angemessene Bezahlung dar, allerdings handelt es sich bei vielen Kursleitenden um das erste in Deutschland selbst verdiente Geld. Oft sind es auch die ersten beruflichen Erfahrungen, die sie hier sammeln, aus welchen sie für sich Bestätigung und Motivation ziehen. Wichtig ist es für sie deshalb auch, eine Mitarbeitsbestätigung nach dem Kurs zu erhalten, welche sie Bewerbungen beilegen können.
Das Angebot von KAMA trifft anscheinend auf eine Nische, sodass wir keine Werbung für dieses bei Menschen mit Migrationshintergrund machen müssen. Über die Bekanntenkreise unserer Kursleitenden verbreitet sich die Idee in dem Maße, dass sich immer wieder Menschen von selbst bei uns melden und wir hierdurch 20 Kurse pro Jahr durchführen können.
Kurspat*innen und Organisation des Kurses
Bei der Organisation werden die Kursleitenden bei KAMA von einem*einer Kurspat*in unterstützt. Dies kann eine hauptamtliche oder ehrenamtliche Person sein. Sie überlegt gemeinsam mit dem*der Kursleitenden, was für ein Kurs es werden könnte sowie welchen Raum und Materialien es dafür braucht. Der*Die Kurspat*in kann außerdem die Bewerbung des Kurses und die Anmeldungen zum Kurs koordinieren.
Hintergrund hierfür ist, dass es sich gemeinsam besser überlegen lässt und der*die Kursleitende möglicherweise noch nie selbst einen Kurs geleitet hat. Durch die Anwesenheit und Unterstützung des*der Kurspat*in auch während des Kurses ist der*die Kursleitende nicht ganz auf sich selbst gestellt, denn es gehört einiges an Mut dazu, sich vor eine Gruppe von Menschen zu stellen.
Zu beachten ist allerdings, dass die Rolle des*der Kurspat*in lediglich die Unterstützung des*der Kursleiter*in ist. Wenn Ehrenamtliche diese Funktion übernehmen, sollte kommuniziert werden, dass es sich um einen Empowerment-Ansatz handelt, in dem die Idee des*der Kursleiter*in im Mittelpunkt steht.
Grundsätzlich können die Kurse auch ohne Kurspat*in stattfinden. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich über die gemeinsame Arbeit und Organisation des Kurses fast immer ein intensiver und freundschaftlicher Kontakt zwischen Kursleiter*in und Kurspat*in ergibt. Dieser positive Effekt sollte unseres Erachtens genutzt und daher ein*e Kurspat*in für den Kurs gesucht werden.
Teilnehmende und Durchführung des Kurses
Aus den Kursen gehen meistens auch freundschaftliche Kontakte mit den Teilnehmenden hervor oder es wird von ihnen z. B. Unterstützung beim Deutschlernen angeboten. Vor allem tritt dies bei Kursen ein, die länger dauern. Die Kursdauer hängt vorrangig davon ab, wie lange die Kursleitenden den Kurs anbieten möchten. Dies kann einmalig sein, mehrere Wochen oder Monate umfassen oder gar über Jahre gehen. Bei KAMA gab es beispielsweise einen Vortrag zur antiken Stadt Palmyra in Syrien, der an einem Abend stattfand, aber auch einen Persischkurs, der zwei Jahre lang lief.
Natürlich hängt die Kursdauer auch davon ab, wie lange die Teilnehmenden dem Kurs treu bleiben. Vor allem da die Ausgangszahl mit höchstens 10 Teilnehmenden recht gering und die Verbindlichkeit bei kostenlosen Angeboten niedriger ist. Dies ist auch ein Punkt, wie sich bei der Evaluation deutlich herauskristallisiert hat, den die Kursleitenden kritisieren, nämlich dass nach einiger Zeit weniger oder keine Teilnehmenden mehr zu den Kursen kommen. Hier ist auf der einen Seite zu kommunizieren, dass dies ein typischer Effekt ist und dies nicht mit der Leitung des Kurses zusammenhängen muss. Auf der anderen Seite bitten wir die Teilnehmenden sich immer abzumelden, wenn sie an einem Termin oder gar nicht mehr am Kurs partizipieren können, sodass die Kursleitenden darüber informiert sind.
Teilnehmende für die Kursen finden wir bei KAMA über unsere Webseite, Aushänge an den Orten, an welchen die Kurse stattfinden, vorrangig aber über unsere Facebook-Seite.
Warum lohnt sich KAMA…
… für die Teilnehmenden?
Auf der Seite der Teilnehmenden ist der Nutzen ganz offensichtlich. Sie können über KAMA kostenlos an einem sie interessierendem Kursangebot teilnehmen und dies auch noch in einer sehr kleinen Kursgruppe. Die Möglichkeit beispielsweise einen kostenlosen und wöchentlich stattfindenden Sprachkurs mit vier oder fünf Schüler*innen zu besuchen, in dem genügend Zeit ist, um auf die individuellen Fragen der Lernenden einzugehen, und der auch noch von einer Person geleitet wird, die mit der Sprache aufgewachsen ist, ist ein außergewöhnliches Angebot. Von einigen Kursleitenden wird Landeskunde und die politische Situation in ihren Herkunftsländern zudem explizit als Kursinhalt miteingeplant. Aber auch in Kursen, in welchen dies nicht der Fall ist, ergeben sich vor, während oder nach dem Kurs oftmals Gespräche über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Hierbei entsteht häufig – über die Beziehungen, die sich innerhalb der Kursgruppe entwickeln – ein für alle Beteiligten spannender Austausch, der zu gegenseitigem interkulturellen Verständnis beiträgt.
… für die Kurspat*innen?
Die Kurspat*innen haben über ihre Tätigkeit die Gelegenheit sich Organisationfähigkeiten anzueignen. Sie lernen was bei der Organisation von Bildungsveranstaltungen zu beachten ist. Welche Schritte sind nacheinander zu gehen? Für die Bewerbung der Kurse ist zudem Kreativität gefragt. Wie gestalte ich einen ansprechenden Flyer? Außerdem beschäftigen sie sich mit Fragen, wie z. B. wo und wie Werbung für den Kurs gemacht werden kann, um letztlich genügend Teilnehmende für den Kurs zu finden.
… für die Kursleitenden?
Selbstwirksamkeit ist seitens der Kursleitenden zuvorderst anzuführen. Sie haben die Möglichkeit selbst etwas zu tun, etwas weiterzugeben und in dieser Situation einmal nicht als hilfedürftig aufzutreten. Dies zeigt sich deutlich an der Zufriedenheit, mit welcher die Kursleitenden die Kurse bei KAMA abschließen und regelmäßig mitteilen, dass sie an einer Fortsetzung interessiert sind.
Dieses Jahr führten wir für ein Projekt eine Evaluation mit den Kursleitenden durch und konnten hierdurch ihre Sicht auf KAMA festhalten. Auf die Frage, was sie mitnehmen konnten, erzählten sie davon, dass sie die Gespräche mit den Teilnehmenden und mit Menschen in Kontakt kommen zu können sehr schätzen: „I got to know humble people and I felt that they too enjoyed my company.“ Außerdem erwähnten sie, dass sie Deutsch üben konnten und dass sie es sehr schön fanden, dass beide Seiten durch die Kurse etwas hinzulernten. Sie berichteten auch, dass sie durch die Kursleitung mehr Selbstvertrauen gewinnen konnten.
Wie kann soziale Integration und Begegnung auf Augenhöhe realisiert werden?
Für soziale Integration ist der persönliche Kontakt eine Grundvoraussetzung. Nur wer sich grundsätzlich als Mensch durch Andere angenommen und wertgeschätzt fühlt, ist motiviert zu aktiver gesellschaftlicher Teilhabe. Dazu können KAMA-Kurse beitragen. Die Kursleitenden können sich in den Kursen als kompetent erleben, indem sie Wissen und Fähigkeiten an andere Menschen vermitteln. Hierüber können sie Selbstwirksamkeit erfahren. Diese trägt dazu bei, dass sie sich auch in anderen Kontexten handlungsfähig fühlen.
Allerdings ist bei der Organisation und Durchführung Kursen zu beachten, kulturelle Stereotypen nicht zu verstärken, pauschale Aussagen über verschiedene Bevölkerungsgruppen nicht wiederzugeben und nicht auf vereinfachte Darstellungen von kulturellen Ausprägungen zurückzugreifen. Ebenso sollte darüber reflektiert werden, ob es zu paternalistischen Verhaltensweisen gegenüber den Kursleitenden kommt.
Wird hierauf Rücksicht genommen, können die Teilnehmenden in den Kursen ein klischeefreies Bild von geflüchteten Menschen und Migrant*innen erleben. Denn diese treten in ihrem Kurs als Individuen in Erscheinung, mit ihren Fähigkeiten, ihrer Geschichte und ihrer Lebensweise. Durch die geringe Größe der Kurse treten der oder die Kursleiter*in und die Teilnehmenden miteinander in Kontakt. Die Teilnehmenden können dadurch ihre bisherigen Bilder abgleichen und ihre Annahmen reflektieren. Sie erwerben hierdurch interkulturelle Kompetenzen und können als Multiplikator*innen dienen, indem sie ihre Erfahrungen in ihre Bekanntenkreise hineintragen.
Letztlich möchten wir durch KAMA zu einem Mehr an Miteinander beitragen. Alte und neue Bewohner*innen haben die Möglichkeit sich über die Kurse kennen zu lernen und miteinander in Austausch zu treten oder sich vielleicht sogar miteinander anzufreunden. Dieses Aufeinandertreffen – von Person zu Person – findet auf einer niedrigschwelligen Ebene auf der Basis von gemeinsamen Interessen statt und trägt dazu bei, eine Brücke zwischen einander fremden Menschen zu schlagen. Pauschale Vorurteile treffen hierbei auf Informationen von einzelnen Personen und müssen somit reflektiert und angepasst werden. Unseren Erfahrungen nach führt dies einerseits zu Integration über Kontakte und Anerkennung sowie zu mehr Toleranz und Verständnis auf beiden Seiten.
Kontakt
Bei weiterem Interesse, wie KAMA-Kurse organisiert werden können, können Sie unsere Webseite besuchen (kama-dresden.de) und sich auch gerne bei uns melden (info@kama-dresden.de)! Wir freuen uns, wenn wir unsere Erfahrungen und auch unsere erarbeiteten Materialien weitergeben und dadurch zu weiteren Kursen und zu einem Mehr an Miteinander beitragen können!
Mirjam Christ
Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 5 des Fachtages “Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen“ (2020):
Begegnung ermöglichen als methodische Herausforderung sozialer Integration
Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:
“Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen” (2020)
Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net
Notes bas de page
Quellenverzeichnis
- Quelles
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