Flüchtlingssozialarbeit im Erzgebirgskreis – Vortrag im Rahmen des Fachtages „Wissenschaftliche Begleitung der Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen“

Von Sven Kuhn, Sachgebietsleiter SG Unterbringungs- und Sozialkoordination, LRA Erzgebirgskreis


„An der Verwirklichung einer gerechten Sozialordnung sind alle gesellschaftlichen Kräfte beteiligt. Dazu gehört auch die Freie Wohlfahrtspflege; sie ist eine der tragenden Säulen im Sozialstaat. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Trägern öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege ist durch das Sozialgesetzbuch […] geregelt. Ziel ist die wirksame Ergänzung der jeweiligen Tätigkeiten zum Wohle des Hilfesuchenden.“

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW)

Seitdem in den Jahren 2014 – 2016 die Zahl der schutzsuchenden Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch im Erzgebirgskreis stark anstieg, arbeiten die Landkreisverwaltung des Erzgebirgs­kreises und die regionalen Träger der freien Wohlfahrtspflege zusammen um die Flüchtlingssozialarbeit (FSA) zu erbringen. Im Laufe dieser Zusammenarbeit gab es eine kontinuierliche Progression, die bis zum heutigen Tage fortschreitet. Im Rahmen dieser Progression wurden Strukturen geschaffen und optimiert, zum Teil auch verworfen und ersetzt. Es galt und gilt Ressourcen und Synergien zu identifizieren und nutzbar zu machen. Durch die konsequente Entwicklung spezifischen Fachwissens, aufbauend auf theoretischen und empirischen Grundlagen, konnte ein stabiles fachliches Fundament – hier vor allem bei den Trägern der freien Wohlfahrtspflege und dem zuständigen Fachbereich der Landkreisverwaltung – errichtet werden. Der Erkenntnis Kurt Lewins folgend, dass nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie, wurden mit dem Integrationskonzept des Erzgebirgskreises all diese Aktivitäten in einen konzeptionellen Rahmen gefasst. Das bedeutet für die konkrete Arbeit die permanente Verknüpfung von Theorie und Praxis zu einem Regelkreis der kontinuierlichen Entwicklung.

Zurückblickend auf die vergangenen sechs Jahre, das Erlebte und die gesammelten Erfahrungen, lassen sich aus der Sichtweise der Landkreisverwaltung nunmehr einige Thesen zu zielführender FSA im ländlichen Raum formulieren.

Das Fundament jedes Erfolges – ob privat oder beruflich – ist Vertrauen und Transparenz. Die erfolgreiche Zusammenarbeit in der FSA stellt dabei keine Ausnahme dar. Die Komplexität und Mehrdeutigkeit der Thematik, die Akteurs- und Meinungspluralität sowie die schier unüberschaubare Menge an Regelungen und Fachaspekten erfordern zum einen Transparenz zur Verminderung von Komplexität und zum anderen gegenseitiges Vertrauen zur Erlangung von Sicherheit. Im Verhältnis von öffentlichen Institutionen und Drittem Sektor zueinander ist es dabei von zentraler Bedeutung, das tradierte Narrativ von „Gut vs. Böse – öffentliche Institution vs. Träger der freien Wohlfahrt“ sukzessive aufzulösen. Dabei stehen die Institutionen des öffentlichen Sektors ebenso in der Pflicht wie die Akteure der freien Wohlfahrtspflege.

Gelingen sollte dies unter anderem durch die Erarbeitung einer einheitlichen und allgemein akzeptierten Arbeitsgrundlage, eines gemeinsamen fachlichen Fundaments für gemeinnützige und öffentliche Träger der FSA. Zielstellungen und Konzepte müssen partizipativ erarbeitet werden. Durch eine intensive und permanente Kommunikation muss Verständnis für die Überzeugungen, Handlungsweisen und Determinanten des jeweiligen Gegenübers geschaffen und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel gestärkt werden. In dem Zusammenhang erscheint auch die Einführung von Steuerungsinstrumenten wie zum Beispiel einheitliche Fach- und Qualitätsstandards sowie eines Qualitätsmanagements notwendig. Dies nicht zuletzt auch um regionale und überregionale Vergleiche zu ermöglichen und Wissensressourcen zu erschließen.

Als weitere zentrale Einflussfaktoren auf den Erfolg der FSA können Kontinuität und Planungssicherheit festgehalten werden. Nur wenn es den Trägern durch geeignete rechtlich-politische Rahmenbedingungen ermöglicht wird langfristig zusammenzuarbeiten, kann der Aufbau von Vertrauen und Fachexpertise gelingen. Die FSA muss auf der Grundlage eines Gesetzes zur kommunalen Pflichtaufgabe erhoben und mit angemessenen finanziellen Mitteln ausgestattet werden (siehe dazu vergleichend die Sozialgesetzgebung). Das seitens des Freistaates Sachsen angekündigte Teilhabe- und Integrationsgesetz, als sinnvolle Weiterentwicklung des ZIK II, ist aus unserer Sicht ein geeignetes Instrument in welches wir große Hoffnungen legen.

Des Weiteren hat sich in der Vergangenheit herausgestellt, dass sich die Thematik Migration/ Integration im Rahmen von Spezialkonzeptionen nicht ohne mit dieser Systematik maßgebliche Problem zu provozieren, bearbeiten lässt. Spezialkonzepte führen in diesem Zusammenhang zu Polarisierung, Akzeptanzproblemen und Mehraufwand für die beteiligten Akteure. Zudem neigen derartige Konzepte bei der operativen Umsetzung stark zum Versanden. Diesem Umstand trägt das sich gegenwärtig in Überarbeitung befindliche Integrationskonzept des Erzgebirgskreises Rechnung. Der Kern dieses Integrationskonzeptes ist die Vision, die Thematik Migration/ Integration dauerhaft auf einer breiten gesellschaftlich-administrativen Basis zu verankern. Es muss gelingen integrative Aspekte in jedem Bereich der Daseinsvorsorge und des zivilgesellschaftlichen Lebens selbstverständlich mitzudenken. Der Thematik muss es ermöglicht werden ihren Leuchtturmcharakter zu Gunsten einer neuen Selbstverständlichkeit und Unaufgeregtheit ablegen zu können und damit eine breitere Akzeptanz zu erlangen.

Den Gedankengang zur Komplexität aufgreifend, werden zudem weitere Anstrengungen erforderlich, um diese weiter zu verringern. Gelingt dies spürbar, so wird es künftig auch gelingen, Ressourcen effizienter einzusetzen und Verschwendung zu vermindern. Auf die in diesem Zusammenhang relevanten Stichworte Doppelstrukturen und Nachhaltigkeit – finanziell, sozial und ferner auch ökologisch – sei an dieser Stelle verwiesen.

Als letzte These zum Gelingen von FSA sei die Notwendigkeit der zielgerichteten Fachkräfteausbildung, -gewinnung und -entwicklung angeführt. Viele Vorhaben scheiterten in der Vergangenheit am Mangel an geeigneten Fachkräften, die für eine Tätigkeit in der FSA zur Verfügung stehen bzw. sich für eine solche Tätigkeit entscheiden. Es braucht hier konkrete Konzeptionen zur quantitativen und qualitativen Lösung dieses Problems. Zum einen benötigt die FSA Fachkräfte in ausreichender Menge und zum anderen müssen diese die erforderlichen Befähigungen – interkulturelle Kompetenz, interkulturelle Erfahrungen, Methodenkompetenz etc. – mitbringen. Zusätzlich dazu müssen die individuellen Arbeitsverhältnisse und Arbeitsrahmenbedingungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der FSA attraktiver gestaltet werden. Auf die Ausführungen zur Kontinuität und Planungssicherheit sowie zur angemessenen finanziellen Ausstattung sei an der Stelle verwiesen.

Die Landkreisverwaltung des Erzgebirgskreises wird auch weiterhin an der Konzeption der sozialstaatlichen Subsidiarität in der FSA festhalten, da wir diese vor dem Hintergrund der geschilderten Voraussetzungen als geeignetes Instrumentarium für eine nachhaltige und erfolgreiche FSA erachten.

Zur Illustration werden im Folgenden Auszüge aus der am 8.12.2020 gezeigten Präsentation dargestellt:


Sven Kuhn

erzgebirgskreis.de

Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 2 des Fachtages Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen (2020):

Subsidiarität als Chance und Herausforderung für die FSA in sächsischen Kommunen auf dem Weg der Integration

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen” (2020)

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