„Aktuelle Entwicklungen von Zielgruppen und Aufgaben der FSA im Kontext von Integration“ Eine Zusammenfassung

von Magdalena Engel, FSA`lerin, Sächsischer Flüchtlingsrat e.V. Chemnitz


Das Impulsreferat fußt auf meinen bisherigen Erfahrungen im Kontext der Geflüchtetensozialarbeit.

Erste praktische Erfahrungen in diesem Arbeitsfeld sammelte ich in meinem Praxissemester des Studiums Sozialer Arbeit im Frühjahr 2014. Dieses gab den Anstoß zu der weiteren praktischen, aber auch theoretischen Beschäftigung in und mit der Geflüchtetensozialarbeit. So arbeitete ich seit 2016 zunächst im Kontext sogenannter „Gemeinschaftsunterkünfte“ innerhalb der Stadt Leipzig. Zuletzt war ich in der Geflüchtetensozialarbeit des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V. in der Stadt Chemnitz tätig.

Die Struktur des Inputs orientiert sich an den Leitfragen, welche der Diskussion an unserem Arbeitstisch zugrunde gelegt wurden, sowie dem thematischen Rahmen des Fachtages.


„Integration“ – Was heißt das eigentlich?

So erscheint die Klärung meines Begriffsverständnisses von „Integration“ eingangs als bedeutsamer Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen.

Dieser Begriff erscheint bereits im Titel des Fachtages als zentral. Zudem ist der Begriff der „Integration“ im Zusammenhang mit der Geflüchtetensozialarbeit insbesondere deshalb klärungsbedürftig, da er seitens staatlicher Auftraggeber*innen, aber auch aus der Zivilgesellschaft, häufig Synonym mit „dem Auftrag“, welcher der Geflüchtetensozialarbeit zugeschrieben wird, Verwendung findet.

Eine rassismuskritische Perspektive auf jene politischen und gesellschaftlichen Diskurse, welche eng mit diesem alltäglichen Konzept von „Integration“ verbunden sind, legt jedoch offen, dass jenen Diskursen rassistische Bilder und Ausgrenzungen zu Grunde liegen. Beim Sprechen von „Integration“ wird hier vorrangig von einer Art „Anpassungsleistung“ von Migrant*innen ausgegangen (vgl. Böcker/Goel/Heft, 2010, S.309-310). Nach meinen bisherigen praktischen Erfahrungen prägt ein so verstandenes Konzept von „Integration“ auch die alltägliche Praxis der Geflüchtetensozialarbeit – sei es durch die Reproduktion seitens behördlicher Auftraggeber*innen, aber auch freier Akteur*innen und Praktiker*innen der Geflüchtetensozialarbeit selbst.

Einer solchen Perspektive gilt es ein professionsethisch und -theoretisch begründetes, alternatives Begriffsverständnis gegenüberzustellen. Ein solches bietet beispielsweise Naika Foroutan, welche statt dem gänzlichen Verwerfen des Begriffs der Integration für einen Paradigmenwechsel bei dessen Verständnis plädiert (vgl. Foroutan, 2015, S. 4). Sinn und Ziel von „Integration“ seien demnach:

„(…)

  1. eine gleichberechtigte ökonomische, rechtliche und politische Partizipation aller Bürger an den zentralen Gütern der Gesellschaft
  2. zum Zwecke der Herstellung von Chancengleichheit
  3. und des Abbaus von Diskriminierung und Ungleichheit.
  4. Zusätzlich müsste die symbolische Anerkennung und somit Zugehörigkeit und Teilhabe als sinnstiftender Endpunkt in die Erzählung eines neuen Integrationsparadigmas eingedacht werden.
  5. Und es müsste verdeutlicht werden, dass Integration keine Frage der kulturellen, ethnischen, religiösen oder nationalen Herkunft alleine ist, sondern genauso eine Frage von Schicht und Klasse, Gender, sexueller Orientierung, etc.

(…)“ (ebd.)


Aktuelle Entwicklungen in der Geflüchtetensozialarbeit

Ausgehend von diesem Integrationsverständnis darf die weiterführende Betrachtung der aktuellen Entwicklungen der Geflüchtetensozialarbeit in Sachsen deshalb nicht bei einem verengten Blick auf deren Zielgruppe im Sinne unserer Klient*innen enden. Vielmehr müssen gleichermaßen die strukturellen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen unserer Tätigkeit ins Auge gefasst werden.

Strukturelle (und politische) Rahmenbedingungen

Aus den restriktiveren deutschen und europäischen Grenzpolitiken – der faktischen Aufrüstung der „Festung Europa“ – resultiert eine sinkende Zahl jener Menschen, welche Deutschland zuletzt noch erreichen können, um ihr Grundrecht auf Asyl hier geltend zu machen.

Parallel kommt es zu einer andauernden Verschärfung der nationalen Gesetzgebungen, welche im Zusammenhang mit Flucht und Asyl stehen. Diese trägt zu einer massiven Prekarisierung der Lebensverhältnisse asylsuchender Menschen bei. Beispielhaft herauszugreifen sind hier u.a. die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, eine Ausweitung der Liste jener Staaten, welche als „sichere Herkunftsländer“ deklassiert werden oder restriktivere Anerkennungspraxen des BAMF. Hinzu kommen verstärkte Bemühungen sowie rigorosere, behördliche Praxen rund um die Durchsetzung von Abschiebungen, sowie eine damit verbundene Ausweitung der Abschiebehaftgründe. Nicht zuletzt zu erwähnen gilt die verstärkte Aushöhlung sozialer Grundrechte, wie die Möglichkeit der Leistungskürzungen beim Vorwurf der „Identitätsverweigerung“, aber auch erschwerte Zugänge zum Recht auf Bildung oder Arbeit, sowie die weitere Zentralisierung der Unterbringungen durch u.a. längere Verweildauern in Erstaufnahmeeinrichtungen und die Schaffung sogenannter „ANKER-Zentren“.

Begleitet und vorangetrieben wurde all dies durch die gesellschaftlichen Diskurse, innerhalb welcher die Themen Flucht und Asyl in den vergangenen Jahren verhandelt wurden.

Im Bezug auf die Strukturen des Arbeitsfeldes der Geflüchtetensozialarbeit in Sachsen lassen sich zudem problematische Entwicklungen bezüglich kommunaler Förder- und Vergabepolitiken beobachten, so u.a. die Missachtung des Subsidiaritätsprinzips in mehreren sächsischen Landkreisen. Eng in Verbindung damit steht zudem die Frage danach, welche Trägerstrukturen von Kommunen als „förderfähige“ Kooperationspartner*innen verstanden werden. So kann an dieser Stelle beispielhaft auf das Vergabeverfahren für die Geflüchtetensozialarbeit innerhalb der Stadt Chemnitz ab 2021 Bezug genommen werden. Die Weiterförderung der Anlaufstelle des Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. wurde hier innerhalb einer kontrovers zu betrachtenden Verfahrensabwicklung in vollem Umfang eingestellt (vgl. Sächsischer Flüchtlingsrat e.V., 2020).

Zielgruppenbezogene Erfahrungen

Weiterführend stellt sich zudem die Frage, welche praxisbezogenen Erfahrungen sich in Bezug auf die Zielgruppe der Geflüchtetensozialarbeit festhalten lassen.

Die Zusammensetzung dieser ist stets stark abhängig von den aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen und den damit verbunden Grenzpolitiken. Dass wir im Jahr 2020 deshalb mit einer anderen Zahl von Menschen umgehen, welche noch in den Kommunen ankommen können, als im Jahr 2014/2015, ist offenkundig. Ein quantitativer Überblick über die Entwicklungen kommunaler „Zuweisungszahlen“ erscheint mir für eine inhaltliche Ausrichtung der Geflüchtetensozialarbeit deshalb zweitrangig. Viel relevanter dafür erscheint mir eine Diskussion darüber, inwieweit sich die zuvor dargelegten gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen auf unsere zielgruppenbezogenen Praxiserfahrungen niederschlagen.

Zunächst möchte ich aus unserer praktischen Erfahrung voranstellen, dass Menschen stets unabhängig von deren jeweiligem Aufenthaltsstatus als Ratsuchende in unsere Beratungsstelle kamen. Die Zielgruppe unserer Anlaufstelle, welche sich formal zunächst nur auf Menschen in laufenden Asylverfahren bzw. mit negativ abgeschlossenen Verfahren erstreckte, erfasste nicht alle Menschen, welche bei uns tatsächlich nach Unterstützung suchten. In unseren offenen Sprechzeiten kommen wir regelmäßig auch mit Menschen in Kontakt, welche formell eher dem Klient*innenkreis einer Migrationsberatungsstelle zuzuordnen wären. Es widersprach jedoch stets unserem sozialarbeiterischen Selbstverständnis, die individuellen Unterstützungsbedarfe und -ansprüche allein am Aufenthaltstitel unseres Gegenübers zu bemessen. In Chemnitz führte die Thematisierung dieses Umstands seitens der Träger der Geflüchtetensozialarbeit dazu, dass wir darauf hinwirkten, mittlerweile auch Personen mit diversem Aufenthaltsstatus in unseren offiziellen Beratungsumfang mitaufnehmen zu können. Allerdings müssen jene Unterstützungsverhältnisse formell durch einen separaten „Hilfeplan“ begründet und bei der Behörde beantragt werden. Zudem sind sie zeitlich befristet.

Darüber hinaus stellt sich auch die Frage nach veränderten, individuellen Unterstützungsbedarfen.

Weiterführend auch hier einige Eindrücke aus meiner alltäglichen Praxis:

  • Jahrelange Unsicherheiten über den individuellen Aufenthaltsstatus können zu einer zunehmenden Komplexität individueller Hilfebedarfe führen. Dies liegt nicht zuletzt an einer zunehmenden psychosozialen Belastung, welche diese alltäglichen Unsicherheiten bedeuten. In Einzelfällen manifestiert sich diese auch in gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
  • Verstärkte, strukturelle Exklusion durch verschärfte Eingriffsmöglichkeiten in soziale Grundrechte führt zu existenziellen und akuten Krisen bei Klient*innen.
  • Zwischenmenschliche, innerfamiliäre bzw. partnerschaftliche Konflikte werden durch eben genannte Faktoren potenziell verschärft.
  • Rassismuserfahrungen im Alltag und in Institutionen stellen weitere, alltägliche Stressoren dar.
  • Die Stärkung individueller Resilienz würde ich vor diesem Hintergrund als zentralen Bedarf unserer Klient*innen beschreiben.
  • Inhaltliche Themen welche darüber hinaus als vordergründig zu beschreiben wären, sind, unserer Erfahrung nach, die Themen Aufenthaltssicherung in Verbindung mit Fragen nach Zugängen zu Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, individuelle, angemessene Gesundheitsversorgung, Wohnen (…).

(Zukünftige) Aufgaben und notwendigen Positionierungen

Welche künftigen Aufgaben und notwendigen Positionierungen lassen sich nun abschließend aus diesen skizzierten Herausforderungen ableiten?

  • Die Geflüchtetensozialarbeit benötigt einen kritischen Blick auf sich selbst und ihre institutionelle Eingebundenheit, wenn sie dem Ziel einer gleichberechtigten ökonomischen, rechtlichen und politischen Partizipation der Klient*innen gerecht werden möchte.
  • Eine menschenrechtsorientierte und rassismuskritische Perspektive müssen Ausgangspunkt für jede Praxis sein.
  • Die Geflüchtetensozialarbeit muss sich der Parteilichkeit mit ihren Klient*innen bewusst sein.
  • Die Geflüchtetensozialarbeit muss sichtbar machen, dass der Bedarf an professioneller Geflüchtetensozialarbeit auch künftig fortbesteht. Einer rein quantitativen Bedarfsbemessung anhand kommunaler Zuweisungszahlen muss das deutliche Eintreten für die fortbestehenden, individuellen Unterstützungsbedarfe unserer Klient*innen gegenübergestellt werden.
  • Geflüchtetensozialarbeit muss auch jene Menschen mitdenken und adressieren, welche (noch) nicht in ihrem formellen Klient*innenkreis angekommen sind – im Sinne eines „Wir haben Platz! (und Professionalität)“.
  • So muss die Geflüchtetensozialarbeit auch weiterhin darauf hinwirken, dass Flucht & Migrationsbewegungen nicht nur als kurzfristige, krisenhafte Phänomene wahrgenommen und verhandelt werden, sondern als individuelle Lebenserfahrungen unserer Klient*innen anerkannt, sowie in den gesamtgesellschaftlichen Alltag eingebunden werden.
  • Praktisch bedeutet dies eine u.a. Intensivierung an Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, sowie der regionalen und überregionalen Vernetzung im Interesse der Klient*innen.

Literatur


Magdalena Engel

Dieser Artikel gehört zum Arbeitstisch 4 des Fachtages Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen (2020):

Aktuelle Entwicklungen von Zielgruppen und Aufgaben der FSA im Kontext von Integration

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

Flüchtlingssozialarbeit auf dem Weg der Integration von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund– Entwicklungen, Positionierungen, (Heraus)Forderungen” (2020)

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