Übersicht rechtlicher Neuerungen im Kontext Asyl, Flucht und Migration


Für eine gute, umfassende und vor allem zuverlässige Beratung der Adressat*innen der Geflüchtetensozialarbeit müssen sich die Beratenden vor allem in Bezug auf die ständigen rechtlichen Neuerungen weiterbilden.

Der sächsische Flüchtlingsrat e.V. bietet umfangreiche Informationen zum Thema und in verschiedenen Projekten auch Schulungen und Weiterbildungsformate für Beratende und Ehrenamtliche im Bereich Flucht, Migration und Asyl an.In diesem Forum konnten die Teilnehmenden einen Überblick über relevante rechtliche Neuerungen (insbesondere zum Chancenaufenthalt und dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz) bekommen, konkrete Fälle ansprechen und gezielte Rückfragen stellen.


Der SFR und seine Projekte

  • 1991 gegründet
  • Engagiert sich für den Schutz von geflüchteten Menschen und menschenwürdige Unterbringung in Sachsen
  • Ergreift Partei für die schutzwürdigen Interessen Geflüchteter
  • Öffentliche Kontrolle bei Umsetzung des Asylverfahrens
  • Dokumentation von Menschenrechtsverstößen
  • Beratung
    • Asylverfahren und Aufenthalt, Perspektivberatung (ACT)
    • Zugang zu Ausbildung und Arbeit, Bildung, Schule (RESQUE forward, IvAF-Teilprojekt)
    • Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung (IBAS ProFlex, Chemnitz)
    • Patenschaftsvermittlung (Save Me, Chemnitz)
    • Empowerment, Digitalisierung und Arbeitsmarktintegration für Migrantinnen (EDA, Chemnitz)
    • Qualifizierung und Beratung: Fachberatungstelle (QuBe³)
  • Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
  • Mitglied in der Härtefallkommission

Mehr Informationen und Kontakte unter: http://sfrev.de → Menü: „Was wir machen“


QuBe³ – Qualifizierung und Beratung Fachberatungs- und Koordinierungsstelle Asyl

  • Fachberatung: Beratungsstelle für Beratungsstellen
  • Zielgruppe: in der Flüchtlingsarbeit tätige Haupt- und Ehrenamtliche
    • Beratung
    • Schulungen & Weiterbildungen
    • Öffentlichkeitsarbeit

Mehr Informationen und Kontakte unter: https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/projekte/qube/


NEU
Chancen-Aufenthaltsrecht
§ 104c Abs. 1 AufenthG

Grundidee: Chancen-Aufenthaltsrecht für ein Jahr als Brücke in Bleiberecht, um

  • Identität zu klären und Pass zu beschaffen
  • Weitere Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung zu erfüllen: Arbeit, anteilige Lebensunterhaltssicherung

Voraussetzungen:

  • geduldete*r“ Ausländer*in
  • mind. 5 Jahre Aufenthalt (geduldet, gestattet, erlaubt) zum Stichtag 01.10.2022
  • Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung
  • Keine strafrechtliche Verurteilung (Vorsatztat); wobei Verurteilungen bis 50 bzw. 90 Tagessätze (bei Ausländerstraftaten) grsl. außer Betracht bleiben
  • Zeiten der 60b-Duldung sind anzurechnen
  • Versagung: bei wiederholt vorsätzlich falschen Angaben oder Täuschung über ID/StA und dadurch Abschiebung verhindert („Soll“-Versagung)
  • Erteilung abweichend von:
    • Identitätsklärung, Passpflicht + Lebensunterhaltssicherung (LUS)
    • kann abweichend von § 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG
      (versch. Titel elektronischer Aufenthaltstitel nach qualif. Offensichtlich-Unbegründet-Ablehnung) erteilt werden

Folge:

  • Erteilung für 18 Monat, nicht verlängerbar
  • Familie: „soll“-Erteilung für auch Ehegatten/Lebenspartner und minderjährige Kinder
    (auch wenn selbst nicht 5 Jahre Voraufenthalt), auch: vollj. Kinder, wenn zum Ztpkt der Einreise minderj.
  • Verlängerung durch bzw. Umstieg auf § 25a/b AufenthG, wenn dortige Voraussetzungen vorliegen
    • strengere Anforderungen an geklärte ID, Passpflicht
    • LUS (überwiegend) bzw. erfolgreicher Schulbesuch/-abschluss)
  • Zeiten 60b-Duldung dürfen für § 104c AufenthG grsl. angerechnet werden (nicht aber bei Täuschung!), nicht aber für AE § 25a/b

Probleme in der Praxis:

  • „geduldeter Ausländer“: Zettelbescheinigungen (BüvA) gelten nicht als Duldung
  • Umdeutung fehlende Mitwirkung bei Passbeschaffung als Täuschung
  • Bekenntnis: setzt Grundkenntnisse voraus, wird tw. in Gesprächen geprüft und verneint
  • Erreichen der Voraussetzungen für Anschluss-AE §§ 25a/b AufenthG scheint ausgeschlosse/unwahrscheinlich: als atypische Konstellation

Geändert
Bleiberechts-Regelung
§§ 25a/b AufenthG


Gut integrierte Jugendliche, § 25a AufenthG

Voraussetzungen:

  • Jugendlicher (ab 14 Jahre) oder junger Volljähriger (bis Vollendung des 27. LJ) – zuvor: bis 21. LJ
  • 3 Jahre ununterbrochener Aufenthalt: Zeiten von Duldung (D), Aufenthaltsgestattung (AG) oder Aufenthaltserlaubnis (AE) in Summe – zuvor: 4 Jahre
    • Keine Anrechnung von Zeiten der „ Duldung light“ nach § 60b AufenthG
  • In der Regel seit 3 Jahren erfolgreicher Schulbesuch oder Schul- oder Berufsabschluss – zuvor: 4 J.
  • Antragstellung: vor Vollendung 27. Lebensjahr – zuvor: 21. LJ.
  • Unverändert
    • Positive Integrationsprognose: wenn es gewährleistet erscheint, dass aufgrund bisheriger Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der BRD einfügen kann
    • Keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass A. sich nicht zur freiheitlich demokratische Grundordnung bekennt (negativ formuliert; kein aktives Bekenntnis)
  • Verschärfung: Status
    • Vorduldung: seit 12 Monaten im Besitz einer Duldung (D-Anspruch ausreichend) oder
    • AE § 104c AufenthG (ChAR)

§ 25b AufenthG: AE bei nachhaltiger Integration

Voraussetzungen:

  • Status: „geduldete*r“ Ausländer*in oder AE § 104c AufenthG
  • Nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der BRD – setzt regelmäßig voraus:
    • Voraufenthalt: mind. 6 Jahre – zuvor: 8 Jahre
      • 4 Jahre für Familien mit mindj. Kindern – zuvor: 6 Jahre
      • Zeiten von D, AG oder AE, nicht: D nach § 60b AufenthG
    • Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung & Grundkenntnisse
      der Rechts – und Gesellschaftsordnung
    • LUS: überwiegend durch Erwerbstätigkeit (> 50% – für gesamte Bedarfsgemeinschaft)
      • Oder: nach bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- und familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass perspektivisch LUS (vollständig; Bezug von WohnG unschädlich)
      • Vorübergehender Sozialleistungsbezug unschädlich:
        bei Studierenden/Auszubildenden oder Alleinerziehenden, Familien mit minderj.
        Kindern, die auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, Alleinerziehenden (wenn Arbeitsaufnahme nicht zumutbar), Pflege naher pflegebedürftiger Angehöriger
  • Deutschkenntnisse: mdl. A2
  • Kinder: tatsächlicher Schulbesuch

Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung („FEG 2.0“)
Änderungen zum 18.11.2023, 01.03.2024 und 01.06.2024


Änderungen zum 18.11.2023

  • Zweck: § 1 AufenthG: „dient der Steuerung und Begrenzung des zuzugs von Ausländern“
  • § 38a AufenthG: Aufenthalt für EU-Daueraufenthaltsberechtigte („kleine Freizügigkeit“): Vorrangprüfung wird gestrichen
  • Blaue Karte: neu § 18g statt § 18 Abs. 2: Erleichterungen (ua Öffnung für Personen mit subsidiärem Schutz in D, Senkung der Einkommensgrenze, Erweiterung der Liste der Engpassberufe)
  • Erwerbstätigkeits-Aufenthalte, §§ 18a, 18b AufenthG:
    • Für jede qualifizierte Beschäftigung (bislang: für die Qualifikation „befähigt“)
    • Anspruch (bislang: Ermessen)

Änderungen zum 18.11.2023 – Folgen

Neue Spurwechsel-Möglichkeiten nach §§ 18a/b AufenthG – Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte mit in D anerkanntem Abschluss: Berufs- / akademische Ausbildung

  • Während laufendem Asylverfahren möglich
    • Titelerteilungssperre § 10 Ab. 1 AufenthG greift nicht (mehr): Anspruch
    • Visumverstoß: heilbar über § 39 Nr. 4 AufenthV
  • Aus Schengen-Visum oder visumfreien Aufenthalt
    • Wenn Voraussetzungen nach Einreise entstanden sind (Job gefunden)
  • Mit Aufenthaltstitel aus anderem Schengen-Staat: Antrag innerhalb von 90 Tagen möglich, § 39 Nr. 6 AufenthV
  • Aus neuem Ausbildungs-Aufenthalt (§ 16g) kann (direkt) in §§ 18a/b gewechselt werden (schnellere Niederlassungserlaubnis)

Was (weiterhin) nicht gehen wird

  • Spurwechsel nach Rücknahme des Asylantrags
    • Titelerteilungssperre § 10 Ab. 3 AufenthG (aber ab 01.03.24 denkbar)
  • Aus Duldung nach Ablehnung Asylantrag: Wechsel in AE §§ 18a/b AufenthG

Änderungen zum 01.03.2024

§ 16a AufenthG – Ausbildung

  • „soll“ statt „kann“
  • Nebenbeschäftigung: 20Wh statt 10 Wh
  • Keine Vorrangprüfung mehr

§ 16b AufenthG – Studium

  • Ausweitung Nebenbeschäftigung
  • Erweiterung des vorzeitiger Zweckwechsel vor Beendigung des Studiums: in alle anderen Aufenthalte (außer § 19c AufenthG, Au-Pair, Freiwilligendienst…)

§ 16d AufenthG – berufliche Anerkennung

  • Höchstdauer: 3 statt 2 Jahre
  • Nebentätigkeit: 20 Wh statt 10 Wh
  • Einführung Aufenthalt für Qualifikationsanalyse für 6 Monate
  • Streichung von Zweckwechselverboten nach Ablauf Höchstdauer
  • Anerkennungspartnerschaft: auch ohne Anerkennung/Defizitbescheid vor Einreise ist qualifizierte Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen möglich, wenn
    • Im Ausland anerkannter, mind. 2Jähriger Abschluss
    • Nachholung Anerkennungsverfahren nach Einreise

§ 16f AufenthG – Sprachkurs

  • Nebentätigkeiten möglich (20Wh)
  • Streichung der Zweckwechselverbote

§ 16g AufenthG – Ausbildungs-AE statt Duldung

  • 16g für 60c AufenthG, Wortlaut im Wesentlichen übernommen, Anspruch
  • Probleme: LUS (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), nur Absehen von Visumerfordernis geregelt
  • Faktischer Ausschluss schulischer Ausbildung ohne Vergütung, da bislang kein BaföG- Anspruch und kein BAB

§ 17 AufenthG – Ausbildungsplatzsuche, Erweiterungen/Ereichterungen

  • Altersgrenze: 35 Jahre statt 25 Jahre
  • Dauer: 9 statt 6 Monate
  • Sprachniveau: B1 statt B2
  • Nebentätigkeit: 20 Wh

§ 18c AufenthG – Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte

  • Dauer: Nach 3 statt 4 Jahren bei ausländischem Abschluss, nach 2 Jahren bei inländischem Abschluss
  • Ehegatten: von Inhabern NE § 18c nach 3 Jahren AE, 20 Wh Beschäftigung, B1, § 9 Abs. 3a-Neu

NE bei Blauer Karte

  • und Deutsch A1: nach 27 statt 33 Monaten
  • B1 (unverändert) nach 21 Monaten

Westbalkan-Regelung: Entfristung, Erhöhung des Kontingents 25T → 50T / Jahr

§ 19d AufenthG – Aufenthalt für qualifizierte Geduldete

  • „Soll“ statt „kann“
  • Auch für Pflegehilfstätigkeit nach Ausbildung in D

§ 20 AufenthG – Arbeitsplatzsuche

  • Anspruch für 18 Monate nach Ausbildung, Studium oder Anerkennung

Spurwechsel und Absehen vom Visumverfahren (sehr begrenzt)

  • Spurwechsel in AE §§ 18a/b (Berufsausbildung/Studium) und 19c Abs. 2 (berufspraktische Kenntnisse) möglich nach Rücknahme Asylantrag
  • Absehen v. Visumverfahren, § 5 Abs. 3 S. 4 AufenthG
  • Aufhebung der Titelerteilungssperre, § 10 Abs. 3 S. 4 AufenthG
  • Wenn
    • Einreise vor 29.03.2024
    • Rücknahme Asylantrag

„Chancenkarte“, § 20a/b AufenthG

  • Aufenthalt für Arbeitssuche mit ausländischem Abschluss oder Suche nach Anerkennungsmaßnahme bis zu 1 Jahr
  • Bei in D anerkanntem Abschluss: ohne weiteres
  • Ansonsten:
    • Im Ausland anerkannt, mind. 2Jährig
    • A1-Deutsch oder B2-Englisch
    • Mind. 6 Punkte: Defizitbescheid, Alter,
      bessere Sprachkenntnisse,
      Berufserfahrung, rm Voraufenthalt
      Am Horizont…
  • Erweiterung der Liste der sicheren HKL (Georgien, Moldau)
  • Analogleistungen erst nach 36
    (statt derzeit: 18) Monaten – offen verfassungswidrig!
  • Bezahlkarte“: um Rücküberweisungen in HKL zu verhindern
  • Prüfung: Asylverfahren in Drittstaaten („Ruanda-Modell“)
  • Abschiebungen „in großem Stil“, ua durch Migrationsabkommen
  • Erweiterung Ausreisegewahrsam: 28 statt bislang 10 Tage
  • EU-Ebene: GEAS: ua Einigung auf Asyl-Grenzverfahren unter Haftbedingungen

Jörg Eichler

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels” (2023)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net

Forum 5 des Fachtages „Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels“
Jörg Eichler, Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.

Fotos: Guillaume Robin / LaFaSt


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