Gemeinwesenarbeit und Möglichkeitsräume für alle im Quartier
von LaFaSt
Referentin:
Prof.in Dr. Milena Riede, Hochschule für Soziale Arbeit und Pädagogik (HSAP) Berlin
Gemeinwesenarbeit (GWA) gilt neben der Einzelfallhilfe und der Gruppenarbeit, als eine der drei Methoden Sozialer Arbeit und ist ein traditions- und facettenreiches Konzept bzw. Arbeitsprinzip und Handlungsfeld sozialraumbezogener Arbeit mit dem Ziel, die materiellen und immateriellen Lebensbedingungen in sozial benachteiligten Quartieren und/oder von spezifischen Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Gerade im Prozess des Ankommens kommt dem Gemeinwesen – also der Nachbarschaft bzw. dem Sozialraum – eine wichtige Bedeutung zu, denn hier halten sich die Menschen auf, hier leben sie und hier treffen auch unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen aufeinander, welche oft einer Vermittlung bedürfen. Integration als langfristiger Such- und Lernprozess für alle Beteiligten muss adäquat begleitet werden. Vor allem für sozialräumliche Veränderungsprozesse im Kontext von Flucht und Migration ist die GWA besonders geeignet, die damit einhergehenden Herausforderungen strukturiert und nachhaltig anzugehen. FSA/MSA als Akteur im Sozialraum ist nah an den Bedürfnissen und Interessen geflüchteter Menschen und kann durch gute Gemeinwesenarbeit entscheidend zur migrationsgesellschaftlichen Öffnung der Sozialräume beitragen und damit mehr Teilhabe von Geflüchteten ermöglichen.
Obwohl viele Leistungsbeschreibungen für die Projekte der FSA/MSA Gemeinwesenarbeit bzw. gemeinwesenorientierte Arbeitsansätze beinhalten bzw. vorsehen, scheitert die praktische Umsetzung dieser Ansätze und Konzepte vielerorts u. a. an fehlenden zeitlichen Kapazitäten und Ressourcen aufgrund der hohen Arbeitsbelastung durch immer weiter steigende Fallzahlen.
Prof.in Dr.in Milena Riede thematisierte in ihrem Einstieg Ansätze und Methoden der GWA und stellte sie in den Kontext von Migration und Flucht. Daneben ermöglichte sie einen Einblick in ihre Forschungsergebnisse.
Im Anschluss daran konnten die Teilnehmer*innen in einen Austausch kommen. Im Zentrum dieser Diskussion standen Fragen nach der Umsetzbarkeit der vorgestellten Ansätze bezüglich der Bedingungen vor Ort. Gerade in ländlichen Regionen stehen die Fachkräfte vor schwierigen Ausgangssituationen. Hier haben die Fachkräfte oft mit Ängsten und rassistischen Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft zu kämpfen, welche einer neuen diverseren Nachbarschaft mit Ablehnung begegnen. Es scheint schwer, großstädtische Projekte konzeptionell für den ländlichen Raum zu adaptieren. Der Anteil der zugewandten Menschen ist oft gering. Gerade in ländlichen Regionen ist es schwierig Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen, da wenig Partizipations- und Mitentscheidungsmöglichkeiten existieren. Ebenso scheinen nur begrenzte Ressourcen vorhanden zu sein.
Die Orientierung an den Bedürfnissen und Themen aller Menschen, die in einer Region leben, scheint besonders schwierig umzusetzen, denn die Bedürfnisse und Themen der „Einheimischen“ stehen im Konflikt mit den Bedürfnissen und Themen der neuzugezogenen Geflüchteten. Es wird davon berichtet, dass es großen Widerstand gegen die Unterbringung von Geflüchteten in den Landkreisen gibt. Die Geflüchteten dagegen wollen bzw. sollen sich integrieren. Dafür braucht eine spezielle Infrastruktur, um die Menschen bspw. in Sprachkurse und in Arbeit zu vermitteln.
Projekte der GWA müssen in ländlichen Regionen gut vorbereitet werden, um alle Menschen zu erreichen und zu integrieren. Dabei scheinen folgende Fragen wesentlich:
- wie kann Alltagssolidarität erreicht werden?
- Wie schafft man es, alle Einwohner*innen eines Gebiets gleichermaßen gut zu erreichen?
1. Gesellschaftliche Herausforderungen in Deutschland
Aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen
- Klimawandel
- Megatrends wie Globalisierung
- und Individualisierung
- Kriege
- Pandemie
- Wanderungsbewegungen
PowerPoint Präsentation – Prof.in Dr. Milena Riede
Gemeinwesenarbeit in Deutschland wird durch verschiedene Herausforderungen und aktuelle gesellschaftliche Veränderungen beeinflusst. Die fortschreitende Globalisierung wird als spannungsreich empfunden. Diese Entwicklungen beziehen viele Lebensbereiche ein und können lokalem Handeln konträr entgegenwirken. Hinzu kommen durch eine stetige Digitalisierung Veränderungen, welche sich ebenfalls auf ein Quartier auswirken können. Durch die Digitalisierung können einerseits Entscheidungen schneller getroffen werden – es muss nicht immer alles „Face to Face“ entschieden werden. Andererseits können die Menschen aber auch in eine digitale Welt abtauchen und ihren Freizeitbereich im digitalen Raum erleben.
Ebenso werden die Effekte durch den Klimawandel zunehmend sichtbar. Menschen, welche aus Regionen stammen, in denen der Klimawandel bereits jetzt schon zu verheerenden Auswirkungen führt (Hitze, Wasserknappheit, Nahrungsmangel und somit keine Selbstversorgung mehr möglich), müssen ihre Heimat verlassen und fliehen in gemäßigtere Klimazonen. Somit steigt auch in den deutschen Kommunen die Zahl an Zugewanderten, die somit zu Adressat*innen von Gemeinwesenarbeit werden.
Aber nicht nur die neuen Nachbar*innen in den Stadtteilen und Gemeinden führen zur Pluralisierung von verschiedenen Lebenswelten. Eine wachsende soziale Ungleichheit wird von allen Bewohner*innen empfunden. Gerade die migrantische Nachbarschaft gerät dabei in den Fokus.
Ein Miteinander in den Wohnarealen erscheint durch die soeben aufgeführten Entwicklungen verringert. An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden, ob sich die Gesellschaft spaltet und dadurch das Auseinanderdriften verschiedener sozialer Schichten befördert.
All diese Veränderungen können zu Verunsicherungen führen.
Aktuelle Stimmung im Land scheint zu sein:
Geht alle weg! Wir sind überfordert und haben so viele andere Probleme!
Die müssen wir zuerst lösen, bevor wir uns um Euch kümmern können…
PowerPoint Präsentation – Prof.in Dr. Milena Riede
1.1 Herausforderungen durch Bevölkerungszunahme
Wenn über neue migrantische Nachbarschaften als eine Herausforderung in den Quartieren nachgedacht wird, gilt es einige Aspekte genauer zu betrachten. Es handelt sich hierbei nicht um eine „Flüchtlingskrise“, sondern vielmehr um eine Verwaltungs- und Politikkrise, da diese Akteure nicht in der Lage sind, auf aktuelle Veränderungen in der Bevölkerung adäquat zu reagieren. Auch Infrastrukturproblemen durch eine Bevölkerungszunahme wird zu langsam begegnet. Daneben führen die Asylgesetzgebung, der Bürokratieapparat und oft auch der Umgang der Behörden zu verminderten Teilhabemöglichkeiten.
Viele Menschen fühlen sich überfordert von den schnellen Veränderungen, was zu Konkurrenzen unter benachteiligten Gruppen führen kann. Neue Nachbar*innen müssen erst in den bestehenden Communities ankommen. Menschen mit Migrationsgeschichte, welche schon längere Zeit an einem Ort leben, sind bereits Teil dieser Communities und als Adressat*innen von Gemeinwesenarbeit in Teilhabeprozesse involviert.
1.2 Drei Modi von Teilhabe und Zugehörigkeit
Die Möglichkeit von Teilhabe und das Gefühl von Zugehörigkeit ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Auch die Einbindung in die Arbeit der Communities und deren Angebote erhöhen die Teilhabechancen und somit auch das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe. Die Mitglieder der Organisationen können aktiv diese Angebote mitgestalten.
Durch die Nutzung stadteilbezogener Angebote können soziale Beziehungen ausgebaut und gefestigt werden. Kommen mehrere Mitglieder einer Familie bei den Angeboten an, kann dies einen positiven Einfluss auf familiäre Bindungen haben, da alle Familienmitglieder von den Verbindungen in die Communities und somit den Beziehungen der anderen profitieren können, wodurch sich größere soziale Netzwerke bilden.
1.3 Was braucht es
Um den erwähnten Herausforderungen begegnen zu können, kann festgehalten werden, welche Handlungsstrategien verfolgt werden sollten:
- Angebote für mehr Miteinander,
- Begegnung, Austausch und ein miteinander Tun,
- Religions- und parteipolitisch neutrale Orte für Begegnung,
- Teilhabe-, Bildungs- und Partizipationsangebote für alle,
- Neuen Umgang mit Diversität lernen und üben,
- Vermeidung von Konkurrenzen – gemeinsam gute Lösungen entwickeln,
- Zukunftsvisionen.
All dies dient der Stärkung der Menschen in einem Quartier. Sie können somit Selbstwirksamkeitserfahrungen machen, welche einem Ohnmachtsgefühl entgegenwirken.
2. Konzeptionelle Grundlagen der Gemeinwesenarbeit
Konzept Gemeinwesenarbeit
„Gemeinwesenarbeit (GWA) ist ein traditions- und variantenreiches Konzept und Handlungsfeld Sozialer Arbeit.“
Stövesand 2018
„Gemeinwesenarbeit geht es um die Verbesserung der Lebensbedingungen in Sozialen Räumen im Sinne der dort lebenden Menschen.“
Lüttringhaus 2011, S. 277
PowerPoint Präsentation – Prof.in Dr. Milena Riede
Im „Handbuch Gemeinwesenarbeit“ wird sie wie folgt definiert:
„Gemeinwesenarbeit richtet sich ganzheitlich auf die Lebenszusammenhänge von Menschen. Ziel ist die Verbesserung von materiellen (z.B. Wohnraum, Existenzsicherung), infrastrukturellen (z.B. Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten, Grünflächen) und immateriellen (z.B. Qualität sozialer Beziehungen, Partizipation, Kultur) Bedingungen unter maßgeblicher Einbeziehung der Betroffenen. GWA integriert die Bearbeitung individueller und struktureller Aspekte in sozialräumlicher Perspektive. Sie fördert Handlungsfähigkeit und Selbstorganisation im Sinne von kollektivem Empowerment sowie den Aufbau von Netzwerken und Kooperationsstrukturen. GWA ist somit immer sowohl Bildungsarbeit als auch sozial- bzw. lokalpolitisch ausgerichtet.“
Stövesand und Stoik 2013, S. 23
Gemeinwesenarbeit beinhaltet somit Beziehungs- und Bildungsarbeit sowie Managementaufgaben, um Entwicklungen im Stadtteil im Sinne der dort lebenden Menschen anzuregen und zu unterstützen. Gemeinwesenarbeiter*innen sind in einem Stadtteil unterwegs und erhalten Informationen durch Gespräche und aktivierende Angebote. Zu ihren wesentlichen Aufgaben zählen:
- Das Erfragen und Erforschen von Problemen
- Das Sammeln und Bündeln von Interessen und Ressourcen der Bewohner*innen
- Das Verändern und Gestalten des Sozialraumes unter Einbeziehung der Lebensbedingungen der Adressat*innen
Dabei integrieren sie unterschiedliche Methoden wie z.B. Sozialraumanalyse, niedrigschwellige Beratung, alltagsorientierte Bildungsarbeit, Netzwerkarbeit, kollektives Empowerment bis hin zu gesellschaftlicher Einmischung. Partizipation und die Unterstützung von Selbstorganisation werden dabei zu ihren handlungsleitenden Prinzipien (vgl. Lüttringhaus 2011, S. 277;).
Da Gemeinwesenarbeit von ihren Theoriesträngen und Handlungsansätzen her sehr vielfältig ist, kann nicht von dem einem gültigen Konzept gesprochen werden. Die Ansätze von GWA können technischer oder managerieller Natur sein oder eine gesellschaftliche Veränderung verfolgen.
2.1 Historische Vorläufer und Entwicklung von GWA
Die Entstehung der Gemeinwesenarbeit ist, wie die der Sozialen Arbeit, eng mit der industriellen Entwicklung, dem „Manchesterkapitalismus“ des 19. Jahrhunderts verbunden. Im Zuge der Industrialisierung wuchsen und veränderten sich die Städte, die zu Wohnorten des sich herausbildenden Proletariats und des Massenelends wurden. Dort entwickeln sich in Großbritannien und den USA mit den Settlements die historischen Vorreiter von Gemeinwesenarbeit (Bingel 2011; Landhäußer 2009; Müller 2013; Wendt 1989).
In Deutschland entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts erste Nachbarschaftsheime, welche neben praktischen Hilfen (Volksküchen, medizinische Versorgung, Unterbringung) auch Bildungsarbeit, Freizeitangebote und politische Partizipation umsetzten.
Einen knappen Überblick soll an dieser Stelle die Grafik bieten:
Die Entwicklung der Gemeinwesenarbeit
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Ab 1980 kann von Gemeinwesenarbeit als einem Arbeitsprinzip innerhalb der Soziale Arbeit gesprochen werden. Aktuell finden verschiedene Varianten der Gemeinwesenarbeit verstärkt in alle Handlungsfelder der Sozialen Arbeit Einzug, im Speziellen in die Handlungsfelder GWA und Fachkonzept Sozialraumorientierung.
2.2 Konzeptionelle Grundlagen
Gemeinwesenarbeit kann verschiedenen Intentionen folgen. Sie kann als allgemeines, übergreifendes Arbeitsprinzip der Sozialen Arbeit verstanden werden. Aber auch als ein eigenes Handlungsfeld mit eigenen Handlungsabläufen, Institutionen, Projekten und eigenen Netzwerken findet sie Beachtung. Wenn von GWA als einem Konzept Sozialer Arbeit die Rede ist, so entwickelte sie eigene Ziele, handlungsleitende Prinzipien und Methoden und stellt diese in einen begründeten Zusammenhang.
Konzeptionelle Grundlagen der Gemeinwesenarbeit
- Professionelles Handeln im Stadtteil/ in territorialer Einheit/
- „benachteiligtem Wohngebiet“
- Ganzheitlich auf Lebenszusammenhänge aller Menschen vor Ort
- bezogen
- Fördert Entwicklung gemeinsamer Handlungsfähigkeit und kollektives Empowerment
- Maßgebliche Einbeziehung der Bevölkerung vor Ort
- Ziel ist die Verbesserung von
- materiellen
- infrastrukturellen
- immateriellen Bedingungen
Vgl. Stövesand, S.; Stoik, Christoph (2013) Gemeinwesenarbeit als Konzept Sozialer Arbeit – eine Einleitung. In: Stövesand, S.; Stoik, C.; Troxler, U.(Hrsg.) (2013) Handbuch Gemeinwesenarbeit. Verlag Barbara Budrich, Opladen, S. 21
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Rothschuh und Spitzenberger (Rothschuh, M./Spitzenberger, E. (2010), S. 82) lokalisieren Gemeinwesenarbeit in der Schnittmenge aus Sozialer Stadtentwicklung, Sozialraumorientierung und Bürgerbeteiligung. In Theorie und Praxis verwischen die Grenzen der Begrifflichkeiten, insbesondere zwischen Sozialer Stadtteilentwicklung und Sozialraumorientierung. Gemeinwesenarbeit zielt auf Kontinuität ab und möchte ihre Adressat*innen ermutigen, an Beteiligungsprozessen zu partizipieren. Dafür braucht es eine gute Vertrauensbasis zu den Gemeinwesenarbeiter*innen, gerade damit sie gezielt Menschen in die Angebote involvieren.
Kontexte der Gemeinwesenarbeit
Maria Lüttringhaus (Lüttringhaus, M. (2011) S. 277-282.) entwickelte Leitstandards, die sie für die GWA vorschlägt:
- Zielgruppenübergreifendes Handeln
- Orientierung an den Bedürfnissen und Themen der Menschen
- Förderung der Selbstorganisation und der Selbsthilfekräfte
- Nutzung der vorhandenen Ressourcen
- Ressortübergreifendes Handeln
- Vernetzung und Kooperation
3. Ansatz: Gemeinwesenarbeit als Brückenbauerin (in heterogenen Nachbarschaften)
Moderne Nachbarschaften nehmen an Heterogenität zu. Es braucht Akteur*innen, die alle Bewohner*innen eines Quartieres bedenken, und so die Partizipation aller zu sichern. Um eine gemeinsame Zukunftsvision aller Bewohner*innen zu entwickeln, muss einerseits Vertrauen geschaffen werden, andererseits sollten die Ergebnisse auf Nachhaltigkeit zielen und die Ressourcen eines Sozialraumes berücksichtiget werden.
„Im Sinne einer Teilhabe für alle und angesichts aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen gilt es, die konzeptionellen Aspekte der Gemeinwesenarbeit zu einem innovativen, demokratiefördernden, nachhaltigen und inklusiven Ansatz im Gemeinwesen weiterzuentwickeln.“ (Riede (2017), S. 73f.)
Dabei können drei Schritte benannt werden, welche in diesem Sinne Beachtung finden sollten:
- Soziales Kapital ausbauen – Zielgruppenübergreifendes Miteinander fördern (bindende, brückenbildende und institutionenbezogene Beziehungen)
- Kommunikativer Austausch und Konfliktvermittlung verbessern
- Nachhaltige Gesellschaftsentwicklung anstreben – Gemeinwesenökonomie und gemeinsame Visionssuche
3.1 Zielgruppenübergreifendes Miteinander fördern
Gemeinwesenarbeit nimmt alle Menschen eines Sozialraum in den Fokus. Daneben werden auch verschiedene Personen und Gruppen zusammengebracht. Gleichzeitig muss mit den diversen Personengruppen (z. B. Familien, Frauen, Arbeitslose, geflüchtete Frauen, Senior*innen) gearbeitet werden, um diese gezielt zu befähigen und zu unterstützen. Aber auch themenbezogene Angebote (z. B. zu den Themen Wohnen, Verkehr, Freizeitgestaltung, Grünflächenverbesserung) sollen die einzelnen Menschen in Austausch bringen. Dadurch kann ein wechselseitiger Ressourcenaustausch und ein voneinander Lernen ermöglicht werden.
Zielgruppenübergreifendes Miteinander fördern
- Begegnung z.B. durch Nachbarschaftscafé
- Gemeinsames Tun – Aktivitäten durchführen
- (Interkulturelle) Feste
- Soziokulturelle Aktivitäten
- Ausbildung von Peer-Helpern (z.B. Stadtteilmütter oder Jugendliche am Spielplatz)
- Themengruppen (mit Übersetzung)
- Methode Aktivierende Befragung
- Erzählcafé
- Kiezbegehung
- Soziale Inszenierung
- Nachbarschaftsrat
- Aufsuchende Arbeit
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3.2 Kommunikativer Austausch und Konfliktvermittlung
GWA versteht sich als Mittlerin zwischen den Menschen, ihren verschiedenen Interessen und Bedürfnissen. Somit fördert sie die Kommunikation über Veränderungsprozesse und kann den Umgang mit zunehmender Diversität über den Abbau von Vorurteilen verbessern. Dafür braucht es Begegnungsräume um positive Erlebnisse miteinander zu erfahren. Dabei fördert die Gemeinwesenarbeit in offenen, lösungsorientierten und dialogischen Settings die notwendigen Austauschprozesse im Sozialraum.
Kommunikativer Austausch und Konfliktvermittlung
- Institutionalisierung von lokalem Austausch und einer Diskussionskultur
- Lebendige, vielfältige kleinere/größere Dialog- und Partizipationsangebote im Stadtteil
- Einbeziehung von Menschen aller Heterogenitätsdimensionen/Akteur*innen im Stadtteil
- Gemeinsame Themenauswahl und Schwerpunktsetzung
- Austausch mit Politik und Verwaltung
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3.3 Nachhaltige Gesellschaftsentwicklung anstreben – Gemeinwesenökonomie und gemeinsame Visionssuche
Gemeinwesenarbeiter*innen betrachten ihre Arbeit auch aus sozialer, ökonomischer und ökologischer Perspektive. Das heißt, sie entwickeln einzelne Maßnahmen und ganze Projekte mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung des Quartiers. Dabei steht ein sozial gerechter Blickpunkt im Vordergrund, welcher auch Umweltthemen nicht aus den Augen verlieren sollte. Eine lokale Bezugnahme bleibt dabei immer zentral.
Nachhaltige Gesellschaftsentwicklung anstreben – Gemeinwesenökonomie und gemeinsame Visionssuche
- Zukunftsorientierte Methoden: Aktivierende Befragung und Zukunftswerkstatt
- Nachhaltigkeitsorientierter Blick auf den Stadtteil – „ökologische“, „ökonomische“ und „soziale“ Belange zusammendenken
- Gemeinwesenökonomie als zentraler Strang der GWA!? (Oelschlägel 2013)
- Aktuelle Konzepte der Gemeinwesenökonomie u.a. Tauschökonomie, Schenk- und Umsonstökonomie, Gemeinschaftsgärten (Vgl. Notz 2012, S. 124ff.)
- Beispiele: Tauschringe, Repair Cafés, Solidarische Landwirtschaft, Genossenschaften,
- Büchertausch, Food-Sharing, Sperrgutmarkt
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4. Studie: Potenziale der Gemeinwesenarbeit für lokale Demokratie
Studie „Potenziale der Gemeinwesenarbeit für lokale Demokratie
Kooperationsprojekt:
Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI- Sozialforschung Berlin)
Hochschule für angewandte Pädagogik (HSAP)
Auftraggeber:
vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V.
Zeitraum: 9/2018- 3/2020
Theoretische Vorexpertise
Bestandsaufnahme
Fallbeispiele – Fünf kontrastierende Fallstudien
- Berlin Spandau – Heerstraße Nord – Gemeinwesenverein Heerstraße Nord e.V. Hamburg St. Pauli – GWA St. Pauli e.V.
- Dortmund Nordstadt – Planerladen e.V.
- Dresden Prohlis – Quartiersmanagement Prohlis
- Düren – Büro für Gemeinwesenarbeit und Soziale Stadtentwicklung
Quantitative Untersuchung – standardisierte Querschnittsbefragung
- Leitfadengestützte Interviews mit Bewohnenden (120 pro Gebiet)
Qualitative Untersuchung
- 38 Expert:innengespräche mit Akteuren und Trägern der lokalen Gemeinwesenarbeit, zuständigen Stellen in der Verwaltung, Politikerinnen und Politiker
- 10 Fokusgruppengespräche (zwei pro Gebiet) Netzwerkpartner_innen sowie engagierten Bewohnerinnen und Bewohnern (Schlüsselpersonen)
Was wir unter Demokratie verstehen…
- John Dewey – Demokratie als „eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsam und miteinander geteilten Erfahrung“
- Robert Putnam – Eine lebendige Zivilgesellschaft und ein hohes Maß an sozialem Vertrauen als wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit und Qualität demokratischer Institutionen und Verfahren
- Jürgen Habermas – Politische Legitimität als Resultat demokratischer Willensbildung in einer lebendigen Zivilgesellschaft, die gesellschaftliche Erfahrungen und Interessen aufnimmt und bündelt
In: Gesemann/ Riede 2021 Potenziale der Gemeinwesenarbeit für lokale Demokratie S.16ff.
Studienergebnisse – Gemeinwesenarbeit gelingt es…
- eine aktive Zivilgesellschaft und stabilisierende Netzwerke aufzubauen – „Dörfliche Strukturen zu schaffen“
- diversitätssensible Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen – dauerhafte Beteiligungsstrukturen/ innovative Formate
- der sozialen und politischen Ungleichheit entgegen zu wirken und die politische Responsivität zu verbessern
- zur Demokratisierung der Konfliktbewältigung beizutragen
- ein solidarisches, inklusives Miteinander und den sozialen Zusammenhalt im Gebiet zu fördern
- …und damit die Qualität lokaler Demokratie nachhaltig zu verbessern!
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5. Möglichkeiten für alle im Quartier
An dieser Stelle sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie Quartiere gestalten werden können, so dass sie Teilhabechancen für alle in ihnen lebenden Menschen gewährleisten können.
Um die Quartiere gestalten zu können, braucht es Räume die verschiedenste Angebote für alle bereithalten:
- Beratung für sämtliche Bereiche, welche die Adressat*innen betreffen, wie bspw. Sozial-, Miet-, Schulden-, Asyl-, und Familienberatung
- Begegnungen mit anderen Menschen und/oder Gruppen ermöglichen
- Alltagsdinge ausleihen (wie Spiele, Werkzeuge, ÖPNV-Karten und ähnliches)
- Verschiedene soziokulturelle Angebote
- Familienfreundliche Angebote
- Verweilen können bei einer Tasse Tee
- Jemanden finden, der*die mit einem*r redet und einen sieht
- …
Möglichkeitsräume für alle im Quartier
Orte im Freien
- Parks/ Grünanlagen
- Plätze
- Sportplätze
- Spielplätze…
Innenräume
- Imbiss/ Café
- Nachbarschaftstreff
- Bibliotheken
- Leerstehende Gewerberäume
- Bürgerhaus
- Imbiss
- Familienzentren
- Quartiersläden
- Sprachcafé
- Repair Cafés
- etc.
PowerPoint Präsentation – Prof.in Dr. Milena Riede
5.1 Welche Möglichkeiten im Quartier gibt es?
Für eine gelingende GWA braucht es eine ressourcenorientierte und diversitätssensible Haltung. Diese Einstellung sollten Gemeinwesenarbeiter*innen auf die Adressat*innen übertragen. Dafür ist ein achtsames, nicht bevormundendes Miteinander erforderlich. Nicht nur für Zugewanderte, aber auch gerade für diese Zielgruppe, braucht es einen Umgang, welcher das Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit bestärkt, was durch Mitgestaltung und Mitwirkung gestärkt werden kann.
Es braucht eine niedrigschwellige Unterstützung der Wünsche und Aktivitäten der Bewohner*innen eines Quartiers. Hierfür müssen bürokratische Hürden geringgehalten werden. Jede*r innerhalb einer Nachbarschaft hat besondere Qualifizierungen, welche zu einem vielfältigen Wissen, Können innerhalb dieser Gruppe beitragen. Die bestehende Infrastruktur sollte so ausgebaut werden, dass kostenlose Begegnungsorte entstehen.
Ausblick für Möglichkeitsräume mit GWA
- Zentrale Bedeutung von Nachbarschaftseinrichtungen und Bildungsinstitutionen für diversitätssensibles Miteinander
- Gemeinsam Angebote für ALLE entwickeln, die auch von Geflüchteten wahrgenommen werden können
- Projektunabhängige, langfristige Finanzierung der Förderung eines inklusiven Zusammenlebens – Gemeinwesenarbeit!
- Aufbau interkultureller und vielfältiger Teams
- Achtsames Miteinander und selber offen für eigene Lernprozesse sein!
- Weiterbildungen hinsichtlich des Umgangs mit Vielfalt, Rassismus, Kommunikation und Gemeinwesenarbeit
- Thematisieren von und Austausch über Konkurrenzen unter unterschiedlichen ökonomisch und/oder sozial benachteiligten Gruppen und gemeinsame Auflösung der Probleme
- Gemeinsam Zukunftsvisionen entwickeln!
PowerPoint Präsentation – Prof.in Dr. Milena Riede
Literatur
- Gesemann, F.; Riede, M. (Hrsg.) (2021): Potentiale der Gemeinwesenarbeit für lokale Demokratie. VHW Schriftreihe Nr. 21. Abrufbar unter:
https://www.vhw.de/fileadmin/user_upload/08_publikationen/vhw-schriftenreihe-tagungsband/PDFs/vhw_Schriftenreihe_Nr._21_GWA_und_lokale_Demokratie.pdf - Kronauer, M. (2010): Inklusion – Exklusion. In: Kronauer, M. (Hrsg.): Inklusion und Weiterbildung. Reflexionen zur gesellschaftlichen Teilhabe in der Gegenwart. Bielefeld: Bertelsmann, S. 24-58.
- Lüttringhaus, M. (2011): Zusammenfassender Überblick: Leitstandards der Gemeinwesenarbeit. In Hinte, W.; Lüttringhaus, M.; Oelschlägel, D. (Hrsg.): Grundlagen und Standards der Gemeinwesenarbeit. Weinheim: Juventa, S. 277-282.
- Oelschlägel, D. (2013): Geschichte der GWA in der Bundesrepublik Deutschland. In: Stövesand u.a. (Hrsg.): Handbuch Gemeinwesenarbeit. Opladen, Berlin, Toronto: Budrich, S. 181-202.
- Riede, M. (2016): Gemeinwesenarbeit als Brückenbauerin – zur Neuauflage eines bewährten Konzeptes in heterogenen Nachbarschaften. In: Soziale Arbeit 9, 2016, S. 325-332.
- Riede, M.; Rothschuh, M.; Stracke-Baumann, C.; Zychlinski, J. (2017): Gemeinwesenarbeit und Geflüchtete – Inklusive Gemeinwesenarbeit in neuen Nachbarschaften. In: Ried, M.; Noack, M. (Hrsg.): Gemeinwesenarbeit und Migration. Bonn: Stiftung Masterarbeit, S. 30-36.
- Riede, M.; Noack, M. (2017): Gemeinwesenarbeit und Migration. Bonn: Stiftung Masterarbeit.
- Stövesand, S. (2018): Gemeinwesenarbeit als sozialraumbezogenes Konzept und Handlungsfeld. In: Kessl, F. u.a. (Hrsg.): Handbuch Sozialraum. Grundlagen für den Bildungs- und Sozialbereich. Wiesbaden: Springer VS., S. 557-580.
- Stövesand, S.; Stoik, C. (2013): Gemeinwesenarbeit als Konzept Sozialer Arbeit – eine Einleitung. In: Stövesand, S.; Stoik, C.; Troxler, U. (Hrsg.): Handbuch Gemeinwesenarbeit. Opladen: Budrich, S. 14-35.
- Rothschuh, M.; Spitzenberger, E. (2010): Auf dem Weg zu handlungsbezogenen Theorien der Gemeinwesenarbeit. In: Gahleitner, S. B. u.a. (Hrsg.): Disziplin und Profession Sozialer Arbeit. Budrich, S. 82
- Voß, E. (2015): Wegweiser solidarische Ökonomie. 2. aktualisierte und erweiterter Auflage. Neu-Ulm: AG Spak Bücher.
LaFaSt
Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:
“Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels” (2023)
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Fotos: Guillaume Robin / LaFaSt
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