Flächendeckende unabhängige Asylverfahrensberatung – Informationen und Erfahrungen aus neuen Beratungsstrukturen in Sachsen


Allgemeine Informationen und Eckpunkte der Förderung

Auf Grundlage der Novellierung des § 12a AsylG und der damit zu etablierenden Asylverfahrensberatung (AVB) über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Wohlfahrtsverbände entstanden seit Anfang Juli 2023 einige behördenunabhängige Beratungsstellen mit verschiedenen Schwerpunkten in Sachsen.

Die Einführung der AVB löst damit das bis dahin praktizierte zweistufige Beratungsverfahren des BAMF ab. Die erste Stufe der Beratung – also die Gruppengespräche zu den allgemeinen Informationen über das Verfahren – erfolgt zwar weiterhin an den jeweiligen BAMF-Standorten. Die zweite Stufe – also die individuelle behördenunabhängige Asylverfahrensberatung – ist jedoch auf die Träger der Wohlfahrtspflege übergegangen und wird grundsätzlich als freiwillige, unentgeltliche, flächendeckende sowie ergebnisoffene Beratung angeboten.

Zielstellungen der Beratung sind neben der individuellen Informationsweitergabe zu Sinn und Zweck sowie Ablauf und Inhalt des Asylverfahrens auch die Beratung und Unterstützung im Verlauf des Verfahrens, die Verbesserung des Verständnisses des Verfahrens und dessen einzelner Schritte, die Stärkung der Ratsuchenden in der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten, die Steigerung von Effizienz und Qualität der Verfahren (Vermeidung von weiteren Verfahren, etc.) und letztlich auch die Identifikation von besonderen (Schutz-)Bedarfen.

Eine Beratung ist ab dem Zeitpunkt der Antragsstellung bzw. Stellung des Schutzgesuches bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Asylverfahren sowie im Dublin-Verfahren möglich und umfasst auch die Beratung zu Zweit- und Folgeanträgen sowie Widerrufsverfahren. Die Beratung in diesem Kontext ist der Rechtsberatung gemäß Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) zuzuordnen und stellt keine Prozessbegleitung im Sinne einer anwaltlichen Vertretung dar.

Auf Grundlage des Merkblattes zum Konzept der behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung[1] ist eine Projektantragstellung gemäß des Zentralstellensystems, d.h. über den jeweiligen Dachverband bzw. Bundesverband möglich und wird durch das BAMF als Bewilligungs- und Controllingbehörde geprüft. Im Zuge des Antragsverfahrens müssen potenzielle Träger*innen zum einen die adäquate Qualifikation ihrer Berater*innen sicherstellen und in diesem Zusammenhang auch fachliche Kooperationen mit Rechtsanwält*innen eingehen sowie Zugänge zur Zielgruppe vorweisen bzw. aufbauen. Förderfähig im Rahmen dieses Verfahrens sind beispielsweise Kosten für Personal, Sprachmittlungs- und Dolmetscher*innenkosten, Verwaltungskosten oder Kosten für die juristische Begleitung.


Informationen zum Stand der Einführung in Sachsen

Von den im Jahr 2023 bundesweit bereitgestellten rund 15 Mio. Euro für die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung, stehen 4,8 Prozent (etwa 780.000 Euro) Projektträger*innen aus Sachsen nach Beantragung und Bewilligung zur Verfügung. Trotz der Antragstellung im Februar/ März bzw. Mai 2023 stehen die abschließenden Bewilligungen sowie die entsprechenden Weiterleitungsverträge in großen Teilen weiterhin aus (Stand: 15.11.2023). Der vorzeitige Maßnahmenbeginn erlaubt es jedoch, dass beantragende Träger*innen die Beratung bereits seit dem Beginn der zweiten Jahreshälfte 2023 anbieten können, auch wenn sie dementsprechend in erhebliche Vorleistung gehen müssen.


Aktuelle Standorte

Reguläre Asylverfahrensberatung


  • Dresden
    – Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
    – Caritasverband für Dresden e.V.
  • Chemnitz
    – AWO KV Chemnitz und Umgebung e.V.
  • Leipzig
    – Internationaler Bund Leipzig e.V.
    – Diakonisches Werk Leipzig e.V.
    – Caritasverband Leipzig e.V.
    – Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.)
  • Schneeberg (plus angrenzende Landkreise)
    – HELP e.V.
    – DRK KV Vogtland / Reichenbach e.V.
  • Meißen
    – Diakonisches Werk Meißen e.V.

Asylverfahrensberatung für besonders
schutzbedürftige Personen


  • Dresden
    – Besondere Rechtsberatung
    für queere Schutzsuchende / Gerede e.V.
  • Chemnitz
    – AVB für Personen mit Behinderungen,
    schweren körperlichen Erkrankungen / AGIUA e.V.
  • Leipzig
    – RosaLinde Leipzig e.V.  

Projektvorstellungen I – Besondere Rechtsberatung für queere Geflüchtete

Das Projekt der besonderen Rechtsberatung für queere Geflüchtete ist ein Projekt des Gerede e.V. und wird durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden, in unserem Fall konkret mit der Parität, gefördert. Das Projekt arbeitet, gemeinsam mit anderen besonderen Rechtsberatungen für besonders vulnerable Schutzsuchende sowie anderen Asylverfahrensberatungen, sachsenweit. Der Gerede e.V. versucht hierbei den Beratungsbedarf der Region Dresden und Ostsachsen sowie in Teilen der Region Chemnitz und Umland abzudecken.

Der Gerede e.V. ist ein Verein für Menschen mit vielfältigen Liebes- und Lebensweisen und unterstützt vor allem lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter*, non-binäre, asexuelle und queere (kurz: lsbtinaq* oder queer) Personen sowie deren Angehörige. Neben der Beratungsarbeit und den Begegnungsangeboten bietet der Verein ebenso verschiede Bildungsangebote an und hat somit auch verschiedene Multiplikator*innen als Zielgruppe. Das Projekt „borderless diversity“ ist ein Projekt aus dem Gerede e.V., welches Angebote für queere Geflüchtete zur Verfügung stellt. Psychosoziale Beratungen, Unterstützung bei (akuten) psychischen und anderen Krisen, Begleitung und Unterstützung im Asylprozess, Begleitung bei Behördengängen oder Besuchen bei anderen Institutionen sowie das Finden einer sichereren Unterbringungsmöglichkeit und das Zugänglichmachen zu und Anbieten von Empowerment- und Selbstorganisationsstrukturen bilden die Schwerpunkte der Projektarbeit.

Ein Hauptziel des Projektes der Rechtsberatung für besonders vulnerable Schutzsuchende, in unserem  Fall queere Menschen, ist es, queere Personen (möglichst vor der inhaltlichen Anhörung zum Asylverfahren) als besonders vulnerabel zu identifizieren, ihnen Informationen zum Asylverfahren und ihrer spezifischen Situation als queere Person im Asylverfahren zur Verfügung zu stellen und sie so bestenfalls in die Lage zu versetzen, den teilweise sehr hohen Anforderungen des Asylverfahrens gerecht werden zu können und ihre Asylverfahren unter fairen Bedingungen zu durchlaufen. Queere Geflüchtete sollen über Sinn und Zweck sowie Ablauf und Inhalte des Asylverfahrens informiert und in dessen Verlauf beraten und unterstützt werden. Die Beratung soll dazu beitragen, dass queere Geflüchtete ihre Handlungsoptionen besser kennen und einschätzen können. Langfristig soll dieses Projekt dazu beitragen, den flächendeckenden Aufbau und die Durchführung niedrigschwelliger Rechtsberatung für queere Schutzsuchende im Freistaat Sachsen voranzutreiben und anzubieten. Auf Grund der besonderen Vulnerabilität der Zielgruppe ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Asylverfahrensberatung und psychosozialer Beratung unabdingbar. Eine tragende Rolle hierbei spielt der Zusammenschluss des Projektverbundes „Fachberatung für queere Geflüchtete in Sachsen“, indem die Vereine LSVD Sachsen, RosaLinde Leipzig e.V. und der Gerede e.V. mit ihren bisherigen Projekten für psychosoziale Beratung für queere Geflüchtete zusammengeschlossen sind. In dieser Struktur wird neben der flächendeckenden sachsenweiten Absicherung ebenso qualitätssichernd gearbeitet, dokumentiert und unterstützt.

Inhaltlicher Schwerpunkt des Projektes zur Asylverfahrensberatung ist die Rechtsberatung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgestzes (RDG) für queere Geflüchtete im Asylverfahren. Die Schutzsuchenden haben entsprechend während der gesamten Projektlaufzeit die Möglichkeit, individuelle sowie vertrauliche Einzelberatungstermine zu allen Verfahrensfragen im Status vom Beginn des Asylgesuches bis zum rechtskräftigen Abschluss mit Asylverfahrensberater*innen wahrzunehmen. Neben den bereits genannten Zielen soll in der besonderen Rechtsberatung dabei auch sichergestellt werden, dass besondere Schutzbedarfe identifiziert, entsprechende Garantien gem. der EU-Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU)[2] wie auch der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU)[3] gewährt und mit diesen Bedarfen verbundene Fluchtgründe effektiv vorgetragen werden können. Gegenstand einer solchen Rechtsberatung können neben verschiedenen Aspekten des Asylverfahrens in Deutschland (Schutzformen, Verfahrensschritte, Dublin-Verfahren, Aufnahmeverfahren, Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen (EAEs), Arbeitsverbote, Residenzpflichten, Mitwirkungspflichten) auch eine rechtliche Beratung zur Antragstellung und zu Anhörung bzw. zu weiteren Schritten im laufenden Asylverfahren sein. Zentral ist hierbei die vollumfängliche rechtliche Prüfung der individuellen Verfolgungs- und Fluchtgründe unter Einbeziehung der Situation des Herkunftslandes und der gängigen Rechtsprechung. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Beratung ist die Prüfung der Niederschrift der Anhörung wie auch die Erläuterung des Bescheids. Ebenso Teil der Arbeit kann die Erstellung von Gutachten und Stellungnahmen sowie die Begleitung zu Anhörungen und Behördenterminen im Rahmen des Asylverfahrens sein. Zur Sicherstellung einer qualifizierten Rechtsberatung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes erfolgt die Beratung unter juristischer Begleitung.


Projektvorstellung II – Reguläre Asylverfahrensberatung

Bei diesem Beratungsangebot handelt es sich um ein Projekt des Sächsischen Flüchtlingsrats. Der Sächsische Flüchtlingsrat e. V. (SFR) setzt sich für die Interessen und Rechte von Geflüchteten und Asylsuchenden im Freistaat Sachsen ein und berät Menschen vor, während und nach ihrem Asylverfahren in Belangen rund um das Asyl- und Aufenthaltsgesetz, Leistungskürzungen, sowie zur Bleiberechtsperspektive. Zudem bietet der SFR Informationen und Beratung im Bereich der Arbeitsmarktintegration. Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit dokumentiert, veröffentlicht und kritisiert der SFR menschenrechtliche Missstände im Bereich Asyl und Migration in Sachsen. 

Das Projekt zur Asylverfahrensberatung ist im August 2023 gestartet und verteilt sich aktuell auf die Standorte Dresden und Leipzig. Außerdem findet die Beratung im Rahmen des Projekts einmal wöchentlich in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Dölzig statt. Dabei kann die Beratung auf Deutsch und Englisch sowie in Dresden auf Französisch und Arabisch bzw. in Leipzig auch auf Farsi/Dari angeboten werden. Außerdem kann je nach Bedarf und Möglichkeiten eine Sprachmittlung organisiert werden.

In den ersten Monaten lag der Fokus des Projekts eher auf dem Aufbau des Angebots und der notwendigen Strukturen sowie auf der Vernetzung und Organisation des Projekts.  Seit Mitte Oktober 2023 läuft die Beratungsarbeit kontinuierlich und mit steigender Tendenz. Die Inanspruchnahme der Beratung ist sowohl innerhalb einer offenen Sprechstunde als auch zu im Vorfeld vereinbarten Terminen möglich. Am häufigsten nehmen bisher Personen aus den Herkunftsländern Venezuela und Syrien die Beratung in Anspruch

Die Mobilen Beratungsangebote können bisher nur in einer Erstaufnahmeeinrichtung stattfinden, da alle weiteren EAEs den Mitarbeitenden der Asylverfahrensberatung aktuell noch keinen Zugang zur Einrichtung gewähren.


Ausblick 2024

Die ursprüngliche geplante Erhöhung der Bundesmittel auf 40 Mio. Euro für die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung im Jahr 2024 kann nach aktuellen Haushaltsplanungen nicht realisiert werden. Ferner sieht der aktuelle Entwurf des Bundeshaushalts 2024 eine Festsetzung der Fördermittel in Höhe von 20 Mio. Euro – plus eine eventuelle Erhöhung um 5 Mio. Euro – vor. Laut Konzept der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen zur Einführung der AVB, ist eine Etablierung der Beratungsstrukturen an den Standorten der Landesaufnahmeeinrichtungen im Jahr 2023 und eine Erweiterung der Standorte (Landesaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte) für das Jahr 2024 vorgesehen. Aufgrund der ausbleibenden Mittelerhöhung müssen diese Pläne jedoch zurückgestellt und die aufgebauten Strukturen zunächst gestärkt und schrittweise weiterentwickelt werden.


Diskussion und Austausch

Im Anschluss an die dokumentierten Inputs durch die Vertreter*innen der Projekte und der Verbandsebene wurden vor allem die Aspekte des erschwerten Zugangs zu den Erstaufnahmeeinrichtungen und die Abgrenzung bzw. das Verhältnis zu anderen Unterstützungsangeboten, insbesondere Flüchtlingssozialarbeit/Migrationssozialarbeit, mit den anwesenden Teilnehmenden des Forums – unter deren sich auch weitere Vertreter*innen von AVB-Projekten aus verschiedenen sächsischen Regionen befanden – diskutiert. Darüber hinaus konnte das Forum zum Erfahrungsaustausch und zur Vernetzung der Fachkräfte aus unterschiedlichen Projekten und Strukturen genutzt werden.


LaFaSt

Diesen Artikel finden Sie in der Dokumentation des Fachtages:

“Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels” (2023)

Für eine kostenlose Druckversion schreiben Sie an info@lafast-sachsen.net


[1] https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/Asylverfahren/merkblatt-foerderfaehige-kosten-avb.html?nn=283216 [20.12.2023]

[2] https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0060:0095:DE:PDF [20.12.2023]

[3] https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0096:0116:DE:PDF [20.12.2023]

Forum 6 des Fachtages „Soziale Arbeit mit Geflüchteten in Zeiten des migrationspolitischen Klimawandels“
Hendrik Kreuzberg, Keno, und Tara Bonyad
Hendrik Kreuzberg, Keno und Tara Bonyad
Hendrik Kreuzberg und Keno

Fotos: Guillaume Robin / LaFaSt


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